Grinsende Empirie

Witzelschaften, Spuk, X-Strahlen: Eine Ausstellung im Mönchengladbacher Abteiberg gräbt an den okkulten Wurzeln der Fotografie. Im Reich der Phantome  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Gespenster mögen es überhaupt nicht, wenn man sie fotografiert. Wo auch immer sie auftauchen, machen sie sich über Fotografen lustig. Die Gesichter der Ahnen, die im Dunkeln anfangen zu leuchten, wollen überhaupt nicht echt unecht aussehen. Die kleinen Elfen, die viktorianische Mädchen in englischen Parks besuchen, sind aus Papier geschnitten. Und die fliegenden Tische haben an den Füßen so eigenartige weiße Lichter, die fast aussehen, als habe man von Hand das zugehörige Negativ geschwärzt.

Vernünftige Fotografen mögen es überhaupt nicht, wenn sie von Gespenstern Besuch bekommen. Auf einem akkurat ausgeleuchten Frauenkörper erscheint das Schema eines Gartens. Weil, wie man so sagt, der Fotograf vergessen hat, den Film zu transportieren. Im gelben Licht der Dunkelkammer erscheinen Reflexe und Trübungen, die niemand vorher gesehen haben will. Weil, wie man vermutet, die Chemie nicht stimmt. Es ist wie verhext. Die schwärzlichen Objekte im blassen Himmel der Fotografie tragen dummerweise den Fingerabdruck des Laboranten.

Eine Ausstellung im weitläufigen und raffinierten Museum Abteiberg in Mönchengladbach, genannt: „Im Reich der Phantome – Fotografie des Unsichtbaren“, versucht nicht, das Okkulte zu rehabilitieren. Es ist auch keine kulturgeschichtliche Ausstellung über den Spuk. Statt dessen wird versucht, mit Hunderten von Beispielen und – vom sehr gut lesbaren Katalog abgesehen – ohne jede Erklärung, das magische Verhältnis der Fotografie zu bestimmten Phänomenen der Bildstörung sichtbar zu machen.

Was Veit Loers, den Direktor des Museums, und seine BeraterInnen auf die Idee gebracht hat, läßt sich leichter entschlüsseln, wenn man die Ausstellung von ihrem letzten Saal her begeht. Dort sieht man die großen, körnigen Tafeln von Anna und Bernhard Blume, die gerüttelte, hysterisierte Kleinbürger in schemenhaftem Ambiente zeigen, wie sie heimgesucht werden von fliegenden weißen Kästen ungeklärter Provenienz. Von Johannes Brus gibt es ein Tableau mit 27 Fotografien zu studieren, das „Gurkenparty“ heißt: In einem alten Obstgarten erheben sich Gurken von einem Holztisch zu einem mechanischen Ballett. Der Tisch bewegt sich, die Gurken schweben, der Tisch verschwindet, die Gurken verschwinden. Der Rest des Saals gehört Sigmar Polke, mit zwei riesigen Tableaus von Fotopapieren, die angeblich durch radioaktive Steine belichtet wurden: Geisterhaft in Schwarzweiß und noch vager der spätere Versuch, der grünliche Lichter hervorbrachte, von ungewisser Gestalt, aber mit einem gewissen Eindruck räumlicher Tiefe.

Es wäre falsch zu unterstellen, daß die Blumes abergläubische Künstler wären; daß der Beuys- Schüler Brus in den frühen Siebzigern ausgerechnet mit Gurken okkulte Praktiken habe rehabilitieren wollen. Polkes Verhältnis zum Spuk ist notorisch, durchtrieben, von grinsender Empirie. Mit den Mitteln der Hochkultur rehabilitiert er die Verschrobenheit.

Die Mönchengladbacher Ausstellung macht sich dieses Gespür zu eigen. Sie meint es gut mit dem Unsinn und macht sich lustig über die okkulten Witzelschaften. Sie archiviert nahezu lückenlos die Quellen, die wir Träumern, Spinnern und Lügnern verdanken, und ergänzt sie mit den Bildern derer, die sich über die Spinner Gedanken machen. Sie dringt tief ein in die Verbindung von Fotografie und Manipulation. Die Quellen werden auf ihre Evidenz, aber auch auf ihre Impulse und Energien hin befragt. Zum Vergleich: Es ist so, als würde man den „Traum des Fliegens“ nicht an der Geschichte der Boeing, sondern an Lithographien über den Schneider von Ulm festmachen. Am Anfang steht die Verblüffung über das Naive; am Ende nähert man sich der Tautologie, daß das Phantastische phantastisch sei.

Der historische Teil der Ausstellung ist in den großen, stillen Räumen gehängt, die „das Kleeblatt“ genannt werden. Ein ganzer Raum ist der „Fluidalfotografie“ gewidmet, also Versuchen, körperliche Schwingungen oder Wellen in fotochemische Substanzen zu übertragen. Erst kürzlich entdeckt worden sind die Glasplatten eines Louis Darget, die mehr als deutlich die Fingerabdrücke der Probanden zeigen – in grünlichen und rötlichen Ekelfotografien, die aussehen wie vielfach vergrößerte Laborproben. Unzutreffend sind diese Bilder als „Farbfotografien“ ausgewiesen. Offensichtlich zeigen sie gewöhnliches silberhaltiges Material, das sich durch unkonventionelle Eingriffe verfärbt hat. Die Glasplatten, von denen man nicht so recht sagen kann, ob es Dias oder Negative sein sollen, sind sehr geschickt auf kleine Leuchtkästen montiert. Sie werden komplementiert durch nicht minder bizarre blaßbläuliche Bildchen mit kakteenartigen Kristallisationen, unauffällig auf Symmetrie getrimmten Blasen, Wolken und Waben. Das Schlüsselbild der Zeit – um 1895 – ist der Abdruck einer Hand, gefertigt von einem russischen Staatsrat namens Jakob von Narkievicz-Jodko. Die „Elektrographie“ zeigt die Hand nach dem bezaubernden Muster magnetischer Späne.

Die Sensation jenes Jahres 1895 waren die „X-Strahlen“ eines gewissen Herrn Röntgen, die erstens neue Hoffnungen spuken ließen, man könne dem Körper des Menschen Signale der Geisterwelt abnehmen. Die Röntgenbilder entstammen der Ästhetik des okkulten Labors und doch bedeuteten sie mittelfristig das Ende des Spuks. Die Wunder der Wissenschaft erwiesen sich als unterhaltsamer als die erzwungenen Metaphern einer „Gedankenfotografie“. Eine Fixierung des fotografischen Zaubers ist die Hand, die andere das menschliche Gesicht. Strindberg fotografierte die Familienporträts mit der Lochkamera, um mit der Physiognomie auch die Aura einzufangen. Aus dem Theaterdunkel spiritistischer Kammern lugen die Gesichter der Toten hervor. Aus schönen Mündern junger Frauen leckt das Ektoplasma, eine weiße Substanz.

Ohne daß man es richtig gemerkt hat, ist man im Kleeblatt routiert ins 20. Jahrhundert. Die wie Stahlbrücken arretierten Körper der Hysterikerinnen sind geschmolzen. Die „Traumtänzerinnen“ haben die Augen geöffnet und wechseln zum erotischen Kabarett – oder zum Ausdruckstanz. Gegen die groben Schemen der Völkerpsychologie sind die prägnanten Konturen der Seelenkunde sichtbar geworden.

Die Epochenwende der Geisterfotografie ist das Jahr 1905, als Jacques-Henri Lartigue einen Verwandten als halbtransparente Geisterfigur im Bettlaken auf einer sommerlichen Veranda fotografiert. Lartigue ist elf Jahre alt, als er bemerkt, daß man mit den Mitteln des Genres das Genre parodieren kann. Er löst sich von den empirischen Zwangsvorstellungen der professionellen Fälscher. Hervor tritt ein fotografisches Sujet, die Studie des Flüchtigen, die Choreographie semitransparenter Körper.

Es mag wohl sein, daß der Aberglauben in technischen Gesellschaften keine große Rolle mehr spielt. Aber die Motive des Spuks werden allenthalben aufbereitet und zitiert. Die Surrealisten machen sich daran, die Einfalt in der Konstruktion des „Supernormalen“ bloßzulegen. So untersucht der Brüsseler Künstler und Forscher Paul Nougé spiritistische Gesten im Zusammenhang mit Tischen und sich „von selbst“ öffnenden Türen. Er zeigt die Männer als Verschwörer an einem runden Tisch – nennt das Bild aber „Die Trinker“ – und das weibliche Modell in abgewandten Posen als Karikatur des „Mediums“. Magritte legt das Medium in weißem Kleid auf den Kaminsims. Im häuslichen Zwielicht nähert sich ein Mann mit Hut und Hochwasserhosen, das 20er-Jahre-Klischee des Perversen. In der „Séance für einen Wachtraum“ (1924) zeigt Man Ray zehn Männer geschart um eine Typistin – mit Schreibmaschine. Das moderne Medium ist die Maschine und die Tür zum Unbewußten..., ist die Sprache.

Der Rückgriff ins Reich der Phantome, argumentiert die Ausstellung, gehört zum modernen Repertoire. Daß man das vorher nicht gesehen hat: Natürlich! Umbos berühmtes „Fischaugen“-Bild der sechzehn Ärzte, die ihre Hände auf das Objektiv der „Himmelskamera“ legen (1937): eine Séance! El Lissitzkys Montage von Kopf und Hand, unterlegt mit Zirkel und Millimeterpapier, bezeichnet „Der Konstrukteur“ (1924): der Geist der Wissenschaft als Geisterwissenschaft, eine Beschwörung.

Ist es erst einmal gelungen, die Motive zu isolieren, wird die Ernte gleich fuderweise eingefahren, wobei wechselweise auf die bühnenartigen Bilder einerseits, die atmosphärischen Bilder (Flüssigkeiten und Elektrik) andererseits zurückgegriffen wird. So wird die gesamte „kameralose Fotografie“ dem Reich der Phantome zugeschlagen: die Tag-Nacht-Geisterreihen von Moholy-Nagy bis Floris Neusüss aus den Untiefen des experimentellen Labors. Die „Schadographien“ aus dem Alterswerk von Christian Schad sind ein spätes, komikhaftes Echo auf die X-Strahlen, die Sensation seiner Kindheit.

Die „Fotografie des Unsichtbaren“ ist vielleicht ein etwas zu gezwungenes Paradox. Das Unsichtbare definiert Carl Aigner im Katalog als „Gedankliches, Vorgestelltes, Imaginiertes“. Die Ausstellung zeigt den Versuch von Fotografen, hinter den Vorhang zu schauen, von seiner kruden und bizarren Seite. Armleuchter und Hysterikerinnen sind selbstverständlich komischer Stoff. Dennoch gelingt es deutlich zu machen, daß die spritistischen Motive ein Eigenleben führen. Oder daß – wie man an den wunderbaren Serien von Duane Michals sehen kann – dem Imaginierten zu einem fotografischen Schauplatz zu verhelfen eine Frage der bildlichen Grammatik ist. Die Ausstellung operiert auf frischem Terrain; man merkt es auch am Katalog, der von kunsthistorischen Phrasen weitgehend frei ist. Das kunstfremde Material tut der Kunstfotografie gut. Die Moderne, tausendmal enthüllt, treibt frisch und wacker aus ihrer trivialen Wurzel.

„Im Reich der Phantome – Fotografie des Unsichtbaren“. Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach, bis zum 4. Januar 1998. Katalog 48 DM