Eine Schocktherapie auf kahlrasierten Hügeln

■ Die A 9 von Nürnberg nach Berlin wird zur Hälfte als Rennstrecke ausgebaut. Der Bund Naturschutz fordert angesichts der Landschaftszerstörung einen sofortigen Baustopp

Nürnberg (taz) – Auf einem zwanzig Meter hohen Damm rasen Autos und Lastzüge auf der A 9 von Nürnberg nach Berlin, überqueren wenig später bei Schnaittach eine 1.300 Meter lange Brücke, um dann den von lästigen Bäumen kahlrasierten Hienberg zu überqueren. Mehr als die Hälfte der 130 Kilometer von Nürnberg bis zur Landesgrenze zwischen Bayern und Thüringen sind bereits als sechsspurige Rennstrecke ausgebaut. Um die „Maximierung der Landschaftszerstörung“ zu beenden, fordert Hubert Weiger, Landesbeauftragter des Bund Naturschutz (BN), eine „qualifizierte Beendigung der laufenden Bauarbeiten und den Stopp des weiteren Neubaus“.

Die Naturschützer haben den Kampf gegen das „Verkehrsprojekt der Deutschen Einheit Nr. 12“ weitgehend verloren. Jetzt will Weiger den Ausbau der A 9 nutzen, um bei zuständigen Politikern und Bürgern eine „Schocktherapie“ einzuleiten. „Oft schauen die Pläne ganz harmlos aus“, betont er. Doch das Ergebnis sprenge dann alle Dimensionen.

Gegen die neue Autobahn Nürnberg–Berlin sieht die alte Trasse heute wie ein etwas besserer Feldweg aus. Die älteste Autobahn Deutschlands schlängelte sich in engen Kurven und mit starken Steigungen durch die Mittelgebirgslandschaft. Nach der innerdeutschen Grenzöffnung war die zweispurige Strecke ständig überlastet, weil das tägliche Verkehrsaufkommen von 30.000 Fahrzeugen pro Tag auf 80.000 in die Höhe schnellte. Staus von bis zu 170 Kilometern und Massenkarambolagen mit zahlreichen Todesfällen katapultierten die A 9 problemlos an die Spitze der 17 Vorhaben im „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“, die der damalige Verkehrsminister Günther Krause, „beschleunigt“, das heißt mit reduzierter Planungszeit und nahezu ohne Bürgerbeteiligung verwirklichen wollte.

Im bayerischen Finanz- und Wirtschaftsministerium maß man dem A-9-Ausbau eine „Schlüsselfunktion für das Zusammenwachsen Deutschlands“ bei. Noch bevor der Bundestag seinen Segen gab, wurden die ersten Brücken gebaut. Dann ging es fieberhaft Tag und Nacht voran. Um Senken zu entschärfen, Steigungen auf maximal vier Prozent zu begrenzen und Kurvenradien von mindestens 500 Metern zu erzielen, wurde der Ausbau auf weiten Teilen zu einer Neutrassierung. 15 Millionen Mark kostet jeder Kilometer.

Doch nicht nur die Autobahntrasse selbst erweist sich als Landschaftsfresser. Neue Gewerbegebiete, Einkaufszentren, Autohöfe, Rastanlagen und Diskotheken mit Autobahnanschluß verbrauchen nach BN-Berechnungen noch einmal soviel Fläche wie die Autobahn selbst. Ob in Münchberg, Leupoldsgrün oder Schnaittach, entlang der A 9 wird ein Gewerbegebiet nach dem anderen genehmigt. Einziges Kriterium für den positiven Bescheid: der Autobahnanschluß. Fielen am Hienberg schon 40 Hektar Wald dem Autobahnbau zum Opfer, entsteht nun am Fuße der Anhöhe bei Schnaittach ein 22 Hektar großes Gewerbegebiet und so ganz nebenbei noch auf 11 Hektar Deutschlands größter Autohof. In Neudorf bei Pegnitz entsteht die größte Autobahnraststätte Europas. Auf knapp 18 Hektar wird es dann 550 Stellplätze geben.

Die oft wiederholte Absichtserklärung, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, erweise sich als „pure Farce“, so Richard Mergner, Verkehrsexperte beim BN. Schon jetzt befürchtet die DB Cargo in Nürnberg eine erhebliche Verringerung des Güterverkehrs auf der Schiene, wenn die A 9 fertiggestellt ist. Auch die Ankündigung von Manfred Wiesinger, Leiter der Zentralabteilung der Autobahndirektion Nordbayern, daß „auf der gesamten Strecke keine Geschwindigkeitsbegrenzungen mehr vorgesehen“ seien, bereitet Mergner große Sorgen. Der Schadstoffausstoß werde dadurch zusätzlich erhöht. Bernd Siegler