Baal x Baal = Brecht

John Fuegi bringt Brecht auf die schlichte Formel „Sex for Text“. Das ist so falsch wie unoriginell  ■ Von Sabine Kebir

Daß die Erben von Brechts wichtigster und langjährigster Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann ausgerechnet zum Zeitpunkt des Erscheinens von John Fuegis „Brecht & Co“ eine Urheberrechtsklage gegen die Brecht-Erben anstrengen, ist wahrscheinlich kein Zufall, sondern ein geschickter PR-Trick seines Hamburger Verlages. Denn es wird kaum ein Gericht geben, das urheberrechtliche Konsequenzen aus der längst bekannten Tatsache bestätigt, daß 80 Prozent des „Grundgewebes“ der „Dreigroschenoper“ auf Hauptmanns Übersetzung von Teilen der „Beggar's Opera“ zurückgeht. Da die seinerzeit auch als Brecht-Managerin tätige Mitarbeiterin selbst nicht mehr als 12,5 Prozent geltend gemacht hat, ist auch heute nicht mehr einklagbar. Zu Brechts Werk wurde die „Dreigroschenoper“ durch manchmal nur federstrichartig wirkende Veränderungen, überraschend neue Arrangements, die omnipräsente Ironie, aber vor allem durch weltberühmt werdende Songs – die aber laut Fuegi auch teilweise von Hauptmann stammen sollen.

Brechts radikaler Antikapitalismus und seine konsequente Kriegsgegnerschaft konnte in jenen Zeiten antiquiert erscheinen, in denen sich der wilde Kapitalismus endgültig im Wohlfahrtsstaat aufzulösen schien und die Blockkonfrontation heiße Kriege zumindest in Europa noch verhinderte. An die Stelle der Auseinandersetzung mit dem Werk traten von Marieluise Fleißers Erzählung „Avantgarde“ inspirierte Phantasien über die ausbeuterische tayloristische Produktion dieses Werks, über die – freilich erst nach Brechts Tod – schwindelerregenden Höhen der Tantiemen und vor allem über des Augsburgers Promiskuität. Im Vergleich zu den Kapricen heutiger Stars wirkt sein Sexualleben mittlerweile aber eher bieder. Obwohl Fleißer ihre Erzählung mehrmals als literarisch überspitzt bezeichnet hat, gelang es einigen feministisch bewegten Männern (Fritz Raddatz, Peter Weiss, Klaus Theweleit, Carl Pietzker), dieselben Grundmotive immer wieder zu öffentlichkeitswirksamen Revolten gegen den Übervater oder Konkurrenten Brecht zu stilisieren.

Obwohl oder gerade weil Brecht in der jetzigen Zeit des sich erneut zur Barbarei auswachsenden globalen Kapitalismus wieder aktuell und gefährlich werden könnte, spitzt John Fuegi dieselbe Schablone auf die griffige Formel „Sex for Text“ zu. Damit meint er buchstäblich, daß Brecht seine MitarbeiterInnen kaum mit Geld, sondern vor allem mit Sex bezahlte. Das soll angeblich auch bei Männern vorgekommen sein. Fuegis Anspruch, sowohl den Brechtschen Geschlechtsverkehr als auch die Brechtschen Geldeinnahmen und –ausgaben exakt beurteilen zu können, ist als kauzig abzutun. Sein Umgang mit Quellen, die er – um sich eine wissenschaftliche Aura zu geben – in großer Menge zusammengetragen hat, ist dagegen mehr als unseriös.

Fuegis Grundthese, daß Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin und Ruth Berlau einen beträchtlichen Teil der Dramen, Elisabeth Hauptmann sogar viele Songs geschrieben hätten, läßt sich schon mit der außerordentlichen Sprachkohärenz der Brechtschen Werke widerlegen. Sie ist bis in die Notizen und Briefe hinein erkennbar und hebt sich von der Kunst- und Briefsprache der Frauen deutlich ab. Auch ging Brechts Produktion bruchlos weiter, wenn die MitarbeiterInnen wechselten. Diese, auf sich allein gestellt, brachten keine vergleichbaren Werke hervor. Elisabeth Hauptmanns künstlerische Eigenproduktion versiegte sogar vollständig, als sie, von Brecht getrennt, allein im amerikanischen Exil eintraf. Auch sie war offensichtlich ganz von „kollektiver Arbeitsweise“ mit Brecht abhängig. Aus ihrer Ehe mit Paul Dessau ist keine einzige gemeinsame Songproduktion bekannt.

Daß über sexuelle Gemeinsamkeiten hinaus politische Gemeinsamkeiten in den dramatischsten Jahren des Jahrhunderts das Hauptmotiv der Zusammenarbeit zwischen Hauptmann und Brecht gewesen ist, banalisiert Fuegi als reine Abhängigkeit von Stalin, der wiederum als totalitärer Vorläufer Hitlers hingestellt wird. Dem Aufklärer Brecht wird dasselbe Charisma wie diesen Exponenten der antiaufklärerischen Inquisition angedichtet. Der einfältige Argumentationskreis schließt sich, wenn die diabolische „Macht“ gleichgesetzt wird, „die Hitler, aber auch Brecht, über ihr Publikum in München 1920 ausübten... Daß rationale Wesen zu Wachs in den Händen einer Person werden können, die über eine starke und ausgefeilte Bühnenpräsenz verfügt, liegt im Fall Hitler auf der Hand.“ Bislang sei zuwenig beachtet worden, „daß Brecht ein überaus blendender Vortragskünstler war, der Frauen wie Männer nach Belieben verführen konnte“.

Es liegt außerhalb von Fuegis Vorstellungskraft, daß die Zusammenarbeit mit Brecht nicht durch Hörigkeit politischer und sexueller Art zustande gekommen, sondern auch Spaß gemacht haben könnte. Hauptmann selbst 1973: „...wir haben unendlich viel gelacht, während der ernstesten Arbeit. Und wir sind auch abgeschweift... Wir haben nicht nur – wie der Brecht sagt – gedillidallit... Es war ein Spaß. Es war ein großer Spaß. Die schwere Arbeit war ein großer Spaß... Brecht tat sich selber nicht sehr leicht zum Beispiel mit dem Konstruieren einer Stückfabel. Das war harte Arbeit. Ihm fiel sehr schnell irgendeine Idee für ein Stück ein, die auch in zehn oder zwanzig Zeilen formuliert werden kann. Aber es dramaturgisch aufzuarbeiten, das war gar nicht leicht, weil er ja auch sehr viel mehr Ansprüche stellte an ein Stück als andere. Er hatte ja mal was von Dialektik gehört...“ In der Tat, Brecht brauchte, um Stücke zu bauen, stets Mitdenker. Am liebsten hatte er es, wenn sich vormittags gleich mehrere davon einfanden.

Daß der dramaturgische Beitrag der Frauen in Brechts Werk erheblich war, ist der anspruchsvolleren Brecht-Literatur seit langem zu entnehmen. Fuegis Verdienst liegt lediglich darin, den Sachverhalt der Kollektivität an eine breite Öffentlichkeit gebracht zu haben, wenn auch mit der Absicht, sie zu kriminalisieren. Hinter dem, was er als gröbliche Verletzung des Copyrights im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches darstellt, verbirgt sich nichts anderes als die bei Autoren höchst selten anzutreffende, bei Brecht aber erstaunlich entwickelte Fähigkeit, geistige Kollektivarbeit optimal zu organisieren. Aus diesem Grunde sind beckmesserische philologische Ermittlungen über prozentuale Anteile dieses oder jenes Mitarbeiters weniger bedeutsam als die grundsätzliche Anerkennung der Kollektivität von Brechts Werk.

Daß Brecht den Kampf gegen den Muff der herrschenden Kultur schon sehr früh nur als kollektive Tat für aussichtsreich hielt, zeigen die erst kürzlich vollständig wiedergefundenen Hefte der von dem fünfzehnjährigen Realschüler herausgegebenen Schülerzeitschrift Die Ernte. Acht näher oder ferner befreundete Mitarbeiter stellten bei einem Großteil der Texte und Gedichte oft nur ihre „Autorennamen“ zur Verfügung. Etwa 80 Prozent der Texte stammen von Brecht selbst; sie sind in seinen etwas früher entstandenen Tagebüchern enthalten. Wichtiger, als seinen eigenen Namen bekannt zu machen, war ihm, den Eindruck einer litararisch schlagkräftigen Truppe zu vermitteln. Daß später oft umgekehrt verfahren wurde, hat Brecht nie verborgen, die MitarbeiterInnen werden vor den Stücken genannt. Er war regelrecht stolz auf die Kollektivität des Werks. In einer seiner „Keunergeschichten“ heißt es über Autoren, die allein vor dem leeren Blatt brüten: „Wie wenig brauchen diese alle zu ihrer Tätigkeit! Ein Federhalter und etwas Papier ist das einzige, was sie vorzeigen können! [...] Ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einzelner auf seinen Armen herbeischaffen kann, errichten sie ihre Häuser! Größere Gebäude kennen sie nicht als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist.“

Die spießbürgerlichen Maßstäbe, die Fuegi im Zusammenhang mit den von ihm sehr weit gefaßten Urheberrechten stellt, erfüllt er selbst nicht sehr gewissenhaft. Werner Hecht meldet, daß ein von ihm aufgenommenes Foto in der amerikanischen und trotz seines Protests auch in der deutschen Ausgabe mit „Fotograf unbekannt“ firmiert sei. Der für die deutsche Ausgabe geschriebene „Epilog“ stellt in einigen Teilen eine diplomatische Auseinandersetzung mit meinem Hauptmann- Buch dar, ohne daß es genannt wird. Fuegi reagiert z.B. auf meine These, daß die in den zwanziger Jahren noch ganz patriarchalisch geprägte Kulturindustrie, aber auch die erzwungene Emigration 1933 den Brecht-Freundinnen Alternativen zur Mitarbeit bei B.B. unmöglich gemacht hätten. Das, so Fuegi, „entschuldigt Brecht nicht. Im Gegenteil. Brecht wendete noch die Mittel der Kulturindustrie, die ihm zu Gebote standen, gegen die, mit denen er in engen persönlichen und Arbeitsbeziehungen stand.“ Stalin, Hitler, die offensichtlich keiner Selbstheilung fähigen Kräfte des Kulturmarktes, das ganze zwanzigste Jahrhundert – hier wird es anschaulich reduziert auf ein kleinbürgerliches Kammerspiel zwischen Baal und einer Reihe heiratswütiger Damen.

John Fuegi: „Brecht & Co“. Überarbeitete und erweiterte Fassung von Sebastian Wohlfeil. EVA, Hamburg 1997, 1150 Seiten, 128 DM

Bertolt Brecht: „Die Ernte“. Maro Verlag, Augsburg 1997, 156 Seiten, 39,80 DM

Von Sabine Kebir erschien zuletzt: „Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Brecht“. Aufbau Verlag, Berlin 1997, 292 S., 39,90 DM