Synonym für MfS

■ Dokumentation: "Der Biedermann - Erich Mielke, eine deutsche Karriere" (23 Uhr, ARD)

Wer in DDR-Filmarchiven unter M wie MfS, Minister und Mielke sucht, stößt auf merkwürdige Bilder. Da sieht man einen kleinen runden Mann irgendwann in den Fünfzigern in einem Fußballstadion sitzen, völlig aufgelöst und vom Spielgeschehen gefangen. Der Hut verrutscht, die Arme rudern, und neben dem unruhigen Bündel sitzt Walter Ulbricht, sichtlich weniger vom Spiel als von den selbstvergessenen Ausbrüchen seines Nachbarn amüsiert.

Was Erich Mielke damals geschrien hat, wissen wir nicht. Glaubt man den Berichten seiner ehemaligen Untergebenen, sind es vor allem Schmähungen, die da von der Ehrentribüne des Berliner Fußballclubs Dynamo hallen: „Der Schiedsrichter ist ein Bandit. Er ist gegen Dynamo. Er ist ein Feind. Der Mann muß bearbeitet werden, man muß ihn einsperren!“

Heribert Schwan, durch Dokumentationen wie „Gejagt – Getroffen – Verblutet. Der Tod des Mauerflüchtlings Peter Fechter“, „Angst – Mißtrauen – Haß. Was die DDR-Staatssicherheit anrichtete“ oder „Joachim Gauck. Wächter der Stasi-Akten“ als DDR-Unrechtsexperte ebenso ausgewiesen wie als Freund reißerischer Filmtitel, hat – pünktlich zum 90. Geburtstag des in einer Berliner Plattenbauwohnung lebenden MfS-Pensionärs – ein Mielke-Porträt vorgelegt: „Der Biedermann – Erich Mielke, eine deutsche Karriere“.

45 Minuten, die, so versprach der WDR, neue aufschlußreiche Dokumente und einen Geheimdienstchef zeigen, wie er bisher noch nicht wahrgenommen wurde. Eine ganze Arbeitsgruppe der Gauck-Behörde hat dem WDR- Redakteur zugearbeitet, und so verwundert es nicht, daß der Film tatsächlich einige neue Details über das Ausmaß der Stasi- Schnüffeleien oder die MfS-RAF- Beziehungen liefert. Leider ist Schwan zwischen investigativem Eifer und psychoanalytischer Kontemplation hin- und hergerissen. Nicht zuletzt, weil der Name Mielke für ihn ein Synonym für die Unterdrückungsmaschine MfS ist. Was dazu führt, daß er glaubt, je ausführlicher und emotionaler er die Stasi-Verbrechen dokumentiert, desto deutlicher werde der Charakter der Person hervortreten, die dafür über mehr als drei Jahrzehnte die Verantwortung trug. Aber das kostet Zeit.

Und genau die fehlt am Ende, um der Entwicklung des in Berlin- Wedding geborenen Arbeitersohns zum stalinistischen Berufsrevolutionär die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihr gebührt. Sieben Minuten für die ersten 40 Lebensjahre, für Elternhaus, Schule, Straßenkampf, Polizistenmord, Flucht, Moskau, Spanienkrieg und Illegalität reichen nicht. Es sei denn, man will das Phänomen Mielke ahistorisch aufs Pathologische reduzieren. Doch nicht in jedem cholerischen Fußballfan steckt ein potentieller Stasi-Chef. André Meier