Rente für NS-Opfer erst ab 1999

Bundesregierung einigt sich mit der Jewish Claims Conference: Vier Jahre lang wird Bonn 50 Millionen Mark in einen Fonds für Überlebende in Osteuropa einzahlen  ■ Von Barbara Junge

Die Brüder Michael und Alexander Bergmann, lettische Juden und Überlebende des Holocaust, können ab dem kommenden Jahr, beide eine finanzielle Entschädigung für ihre Verfolgung im Nationalsozialismus erhalten, 54 Jahre nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes. Bislang erhält nur einer von ihnen eine Zwendung. Weil Michael Bergmann in Münster lebt, steht ihm eine monatliche Unterstützung von 500 Mark zu. Sein Bruder Alexander geht bislang leer aus. Weil er in Riga lebt.

„Zur Zeit muß sich Alexander Bergmann jeden Monat aufs Neue entscheiden, ob er sich etwas zu essen kauft oder seine Miete bezahlt“, beschreibt Margers Vestermanis die Situation. Der Historiker ist lettischer Jude und auch ein Überlebender von Ghetto und KZ. Alexander Bergmanns Schicksal steht für viele Tausende seiner Leidensgenossen in Osteuropa. Sie haben bisher keine individuelle Entschädigung erhalten, da sich die Bundesregierung auch nach der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung des Ostblocks strikt weigerte, auch den NS-Opfern im ehemals kommnunistischen Osteuropa eine finanzielle Unterstützung zu gewähren. Ab 1999 wird sich das ändern.

Die letzten osteuropäischen jüdischen Überlebenden aus Konzentrationslagern und Ghettos können dann eine individuelle Entschädigung beantragen. Dies gab Bundeskanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) gestern bekannt. Die Entscheidung setzt den Schlußpunkt hinter ein jahrelanges Tauziehen zwischen Vertretern jüdischer Opfer und der Bundesregierung. „Die Bundesregierung begrüßt es, daß die Jewish Claims Conference (JCC) Bemühungen einleitet, um dem besonderen Verfolgungsschicksal der jüdischen NS-Opfer in Osteuropa mit einem Bündel von Maßnahmen gerecht zu werden“, erklärte Bohl. Er betonte, „daß die Bundesrepublik Deutschland ihrer historischen Verantwortung auch über 50 Jahre nach Kriegsende gerecht wird“.

Zwischen 17.000 und 20.000 Personen werden nach dieser Einigung von der Regelung profitieren. Voraussetzung für eine Rente ist, daß ein Überlebender des Völkermords bislang keine Entschädigung erhalten hat, sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet und eine Mindestzeit in einem Konzentrationslager inhaftiert oder in ein Ghetto gepfercht war.

Mit dem Modus der Entschädigung bleibt die Bundesregierung ihrer harten Haltung treu, keine individuelle Rente zu zahlen (die taz berichtete). Die Jewish Claims Conference wird einen Fonds einrichten, in den die Bundesregierung von 1999 bis zum Jahr 2002 jährlich 50 Millionen Mark einzahlt. Der Fonds gewährt den Holocaust-Opfern monatliche Renten in Höhe von etwa 250 Mark. Insgesamt zahlt Bonn 200 Millionen Mark.

Im Gegensatz zu Holocaust- Opfern in den USA, Israel und Westeuropa hatten die osteuropäischen Überlebenden bisher weder individuelle Entschädigungen noch Renten erhalten. 1992 hatte sich die Bundesregierung gegenüber der JCC verpflichtet, im Rahmen der Härtefallregelung den sogenannten Artikel-2-Fonds zu finanzieren, aus dem die Opfer individuelle Entschädigung bekommen sollten. Im Januar 1996 goß der Bundestag diese Regelung in ein Gesetz. Doch die osteuropäischen Juden blieben von dieser Entschädigung ausgenommen.

Verglichen mit den etwa 500 Mark, die als Rente aus dem Artikel-2-Fonds gezahlt werden, sind die 250 Mark ein geringer Betrag. Gemessen an osteuropäischen Verhältnissen zeigen sich die Vertreter jüdischer Interessen aber damit zufrieden.

Unterdessen wurde jedoch schon Kritik an der getroffenen Vereinbarung laut. Lothar Ewers von der Beratungsstelle für NS- Verfolgte in Köln sagte zur taz: „Es ist eine Unverschämtheit, daß die Regelung erst ab 1999 gelten soll. Bis heute ist ein Drittel der unentschädigten jüdischen Opfer bereits gestorben.“ Die noch Lebenden sind oftmals älter als 80 Jahre, ihnen läuft die Zeit, in der sie noch eine Entschädigung erhalten könnten, davon.

Historiker Vestermanis zeigte sich gestern über die Beschränkung der bundesdeutschen Zahlungen auf vier Jahre entsetzt. „Es ist zynisch, es ist haarsträubend, daß erst noch ein Jahr mit den Zahlungen gewartet wird und dann nur bis zum Jahr 2002 Geld von der Bundesregierung kommt“, sagte er. „Das wirkt wie eine Aufforderung, doch bitte nicht mehr lange zu leben.“ Kommentar Seite 12