Bundesrichter kloppen AKW in die Tonne

■ Mülheim-Kärlich strahlte nur zwei Winter. Nach zehn Jahren Rechtsstreit hebt das Bundesverwaltungsgericht die Genehmigung für den Koblenzer Reaktor endgültig auf. Das Erdbebenrisiko wurde nicht ausreichend geprüft

Berlin (taz) – Das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich bleibt eine Industrieruine. Das entschied gestern der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin und wies damit ein Revisionsbegehren ab, mit dem der Essener Stromriese RWE den umstrittenen Meiler nach fast zehn Jahren Stillstand wieder ans Netz bringen wollte. Die Berliner Richter bestätigten damit in letzter Instanz eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz, das vor gut zwei Jahren die sogenannte „Erste Teilgenehmigung (neu)“ kassiert hatte. Begründung: Die Genehmigungsbehörde habe die Erdbebengefährdung des Standorts nicht ausreichend untersucht und möglicherweise unterschätzt.

Nach dem neuen Urteil steht der inzwischen auch technisch veraltete Meiler vor dem endgültigen Aus. Die Auseinandersetzung dauerte insgesamt zwanzig Jahre, zehn Jahre stritt man allein um diese Genehmigung. Einzig ein neu aufgerolltes, dann drittes Genehmigungsverfahren könnte den Reaktor theoretisch aus dem Dornröschenschlaf wecken, allerdings vorhersehbar erst nach einer neuen, langjährigen Warteschleife vor den Gerichten. Während die Atomkraftgegner, einige Einzelkläger und Anliegergemeinden, gestern bereits ihren endgültigen Sieg feierten (Greenpeace: „Mülheim-Kärlich ist mausetot“), wollten sich RWE-Vertreter nicht definitiv zur Option einer Wiederaufnahme der Genehmigungsprozedur äußern. RWE-Vorstandsmitglied Werner Hlubek kritisierte aber, daß durch das Urteil nicht nur die Zukunft des Standortes Mülheim-Kärlich, sondern auch des Wirtschaftsstandortes Deutschland zweifelhaft sei. Ein „technisch einwandfreies Projekt“ drohe aus formalen Gründen zu scheitern.

Der Berliner Klägeranwalt Reiner Geulen hält es im taz-Interview für „wahrscheinlich“, daß RWE das Genehmigungsverfahren aus taktischen Überlegungen weiterverfolgt. Nur so könne RWE die noch anhängigen Schadensersatzklagen gegen das Land Rheinland-Pfalz glaubwürdig weiterbetreiben.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), der das Urteil eine „Königsetappe“ auf dem Weg zum Ausstieg aus der Atomenergie nannte, bot RWE die Zusammenarbeit bei den Beratungen über die zukünftige Nutzung des AKW-Geländes und der Gebäude an. Es müsse alles getan werden, um die Arbeitsplätze dort zu erhalten. Sollte sich RWE für einen Abriß entscheiden, werde das Land als Atomaufsichts- und -genehmigungsbehörde gleichfalls aktiv werden müssen. Nach wie vor vertritt Beck die Auffassung, daß RWE kein Schadenersatz aufgrund von fehlerhaften Teilgenehmigungen für Mülheim-Kärlich zustehe. gero/kpk

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