Die Dunkelheit der Macht

Auf der Suche nach dem Ursprung unseres Leidens, oder zäh tropft die Zeit: „Die Krähe – mystischer Punk“, ein Stück von Jo Fabian in den Sophiensälen  ■ Von Christine Hohmeyer

Verblüffend ist, daß in der vorletzten Reihe tatsächlich einer fernsieht. Sitzt da, eine Baseballkappe auf dem Kopf, und starrt gebannt in seine tragbare Glotze. Das lautlose Flimmern stört das Publikum: „Muß das mit dem Fernseher sein?“ fragt einer laut. Aber der mit der Mütze rührt sich nicht.

Derweil in der letzten Reihe diskutiert wird, ob der Fernseher zum Stück gehört oder ob er stört, beginnt auf der Bühne der eigentliche Film. Blitze zucken über schwarze Leinwand, davor steht eine rote Figur, in Märtyrerpose angeprangert. Eine Krähe hängt kopfunter an einem Strick, eine Sirene heult. Schriftzüge erleuchten das Dunkel, dann grummeln Pauken aus der Tiefe, eine Stimme singt in archaischer Psalmodie. „GWYR“ singt sie, und „AAETH“, und zäh tropft die Zeit.

Wie seine früheren Stücke so ist auch „Die Krähe – mystischer Punk“, die neue Arbeit des produktiven Theatermachers Jo Fabian, in der Ausrichtung vorwiegend assoziativer Natur. Minimalistische Musik und ausgefeilte Kalligraphien, modernste Bühnentechnik und uralte Symbolik produzieren phantastische Bilder und eine Atmosphäre des fortwährenden Déjà vu. Das Thema, das Fabian dabei umkreist, benennt er selbst: Es ist die Suche nach der „Dunkelheit der Macht“ und „dem Ursprung unseres Leidens“. Doch Fabian ist Magier und kein Soziologe. Und weil er nicht analysiert, sondern mit suggestiven Bildern klotzt, gerät das Ganze zur Gratwanderung. Auf der Suche nach einem wie auch immer gearteten „Ursprung“ wird die Macht des Unbewußten so affirmativ beschworen, daß das Theater zu einem eigenen, medial erzeugten Mythos gerät. Das erzeugt Unbehagen – einerseits.

Andererseits wäre „Die Krähe“ kein Stück von Fabian, wenn der Sog der Illusionen nicht auch gebrochen würde. Nüchtern wie im Kino gleitet ein Abspann über die Leinwand, ein unlesbarer Text, der immer kleiner wird. Dann schält sich die Sängerin (Rosa Enskat) aus ihrem Kostüm und tanzt einen punkigen Schuhplattler, im Hintergrund wird die Rote Fahne geschwungen. Und auf einmal ist alles wieder offen.

Nur einer läßt sich von dem seltsamen Treiben nicht beeindrucken. Sitzt da, unbeweglich bis zum Ende, und glotzt ungerührt weiter. Und demonstriert damit, fernab von Sinnsuche und Ursprungsgerede, die Macht ganz anderer Mythen.

„Die Krähe – mythischer Punk“, Regie: Jo Fabian. Weitere Vorstellungen: 16.–18.1./22.–25.1./ 30.1.– 1.2., jeweils 20 Uhr in den Sophiensälen, Sophienstraße 18, Mitte