Improvisierte Regierungstreue

■ Der einzige staatliche Fernsehkanal Argentiniens ist eher "nacional" als öffentlich-rechtlich. Arbeitsbedingungen und Programmgestaltung sind chaotisch - und entschieden vormodern

Ein neues, unbekanntes Gesicht im Produktionsteam des Morgenmagazins. Keiner weiß warum. Was ist die Aufgabe des Neulings? Woher kommt Mister X? Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Nur ein Wink zur Decke und der Kommentar „von oben“. Die Gestaltung der Sendung wird streng überwacht: Vertrauen ist gut, Kontrolle auf Regierungstreue besser.

Was nach Stasi und Geheimbündlern klingt, ist Redaktionsalltag in der Produktion von „Esta Mañana“ des Fernsehsenders Argentina Televisora Color (A.T.C.) in Buenos Aires. A.T.C. ist der einzige staatliche Kanal Argentiniens und „canal nacional“ nicht mit öffentlich-rechtlich zu übersetzen. Inoffizieller Programmdirektor ist Präsident Carlos Menem. Das spiegeln auch zwei große Aufkleber im Kontrollstudio wider: „Carlos Menem: Präsident des argentinischen Volkes“. Regierungstreue ist beim staatlichen Fernsehen wichtiger als Pressefreiheit. Eingeladene Politiker gehören fast ausnahmslos der „Partido Justicialista“, der regierenden Partei der Peronisten, an. „Esta Mañana“ ist ein Live-Magazin mit geringer redaktioneller Vorbereitung. Das bedeutet: Niemand weiß, was ein Gast von sich geben wird. Zu groß ist folglich das Risiko, einen Abgeordneten der Oppositionsallianz einzuladen.

Auch in der täglichen Talkshow am Nachmittag zeigt sich, wer das Programm gestaltet. Bestes Beispiel ist der Moderator: Selten hält er sich an den geplanten Ablauf der Sendung. Geht ihm der Erzählstoff aus, sagt er eine Werbepause an, wo es keine gibt. Chaos im Kontrollstudio. Und die Produktion ist machtlos: Der Mann ist ein „negocio“, ein geschäftliches Abkommen. Sprich: Er kann's gut mit dem Präsidenten.

Oft fehlt es nicht nur an Absprache, sondern auch an Aktualität: Die aus der Tageszeitung vorgelesenen Nachrichten bringen wenig Neues, die argentinischen Medien neigen zur Wiederholung. So sind der Mord des Journalisten José Luis Cabezas im Januar dieses Jahres und der ungeklärte Mord der Studentin Maria Soledad Morales vor sieben Jahren noch immer täglich Thema der Sendung. Ein Attentat auf einen Journalisten sei in Argentinien so selten und außergewöhnlich, lautet die wenig überzeugende Erklärung des Produktionsteams.

Kontakte im Ausland gibt es nicht. Ein Israel-Attentat bringt die Produktion in Bedrängnis: Woher jemanden organisieren, der die Ereignisse im Nahen Osten kommentiert? Über Korrespondenten schmunzelt man: Warum, wenn man doch wunderbar einfach die Fotos aus den Zeitungen abfilmen kann. Über das Ergebnis läßt sich streiten, doch die Produktion ist stolz auf sich: „Wir wissen uns zu helfen. Es gibt hier niemanden, der nicht improvisieren kann – das lernt man schnell bei der bescheidenen Ausstattung.“

Das Gebäude des Senders A.T.C. wurde 1978 zur Fußball- Weltmeisterschaft erbaut – seitdem hat sich nichts verändert. Der staatliche Kanal hat seine Türen dem multimedialen Zeitalter noch nicht geöffnet: In den Büros der Produktionen gibt es keine Computer, selten eine Schreibmaschine. Die Journalisten schreiben mit der Hand, vier Leute teilen sich ein Telefon. Aus den Stühlen quillt die Polsterung, von den Wänden bröckelt der Putz.

Wird im Gebäude schon nichts renoviert, so sollen doch die bestehenden Sendeinhalte ergänzt werden. Der Moderator von „Esta Mañana“ wünscht sich etwa mehr New-Age- und Astrologie-Themen. Außerdem möchte er täglich einen ungeschickt stolpernden Kellner zwischen den Nachrichtenblöcken auftreten lassen: „Zur Auflockerung.“ Das argentinische Fernsehen läßt die mittelalterliche Gattung der Farce wiederaufleben. „Es soll amüsanter werden“, erklärt auch die Produzentin. Carlos Menem will unterhalten werden. Und der Kultur- und Medienkritiker Neil Postman läßt grüßen: Auf daß sich die Argentinier zu Tode amüsieren. Nadine Emmerich