Kohl weg! Jobs her!

3.000 Arbeitslose demonstrieren vor Hamburgs Arbeitsamt. Mehr als 98.000 HamburgerInnen sind derweil erwerbslos  ■ Florian Marten und Kai von Appen

„Arbeitgeber sind die eigentlichen Drückeberger, die ihrer sozialen Verantwortung nicht nachkommen.“Wortgewaltig erklärte die stellvertretende DGB-Chefin Ursula Engelen-Kefer gestern rund 3.000 protestierenden Erwerbslosen vor dem Hamburger Arbeitsamt woran sie sind. Dabei wußten die mit Trillerpfeifen und Spruchbändern ausgestatteten DemonstantInnen das meist selbst recht genau: „An mangelnder Qualifikation kann es bei mir nicht liegen“, erklärte etwa Petra Müller. Die gelernte Industriekauffrau, hat diverse Zusatzausbildungen, „berufliche und geografische Mobilität“sind für sie kein Fremdwort. Dennoch ist sie seit geraumer Zeit arbeitslos. Ihr Fazit: „Die Regierung muß weg!“

„Wir dürfen uns nicht mehr verkriechen und müssen jetzt Laut geben“, rief auch Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm den Arbeitslosen zu: „Mit dieser Regierung gibt es keinen sozialen Staat mehr.“So viel Schelte war Engelen-Kefer nur recht. Ginge es nach ihr, dann müßten die Aktionen der Erwerbslosen, die gestern bundesweit ihren Auftakt nahmen, zu einer „sozialen Bewegung gegen Arbeitslosigkeit“werden. Denn: „Bonn darf nicht Weimar werden.“Auch Gundula Raupach, die Vizechefin des Hamburger Arbeitsamts, konnte dem Protest vor ihrer Haustür nur Positives abgewinnen: „Es ist verständlich, daß Arbeitslose auf sich aufmerksam machen wollen. Es ist gut, wenn sich etwas bewegt!“

Raupach sah gestern allüberall nur positive Trends: Zwar pirschte sich die Zahl der Arbeitslosen mit jetzt 98.313 in Hamburg registrierten nahe an die magische 100.000er Schwelle heran, zwar liegt die Arbeitslosenquote mit 13,9 Prozent deutlich höher als noch vor einem Jahr – doch mehren sich laut Raupach die „Indizien für eine leichte Trendwende“.

Tatsächlich zeichnet sich seit Sommer vergangenen Jahres eine leichte Besserung in Hamburg ab: Die Zahl der Arbeitsplätze legte nach fünfjährigem Rückgang erstmals wieder zu. Eine Trendwende zeichnet sich damit jedoch voraussichtlich nicht ab, allenfalls eine Stabilisierung auf extrem hohem Niveau. Derweil hat sich die Arbeitsmarktpolitik abgemeldet: 1998 werden, trotz „einiger neuer Instrumente“, wie etwa Vermittlungsagenturen für Sozialhilfeempfänger und speziellen Lohnkostenzuschußprogramme, maximal 8.000 HamburgerInnen in den Genuß von ABM, Lohnkostenzuschuß, Fortbildung oder Umschulung kommen.

„Kohl muß weg“, lautete denn auch die Sprechchor-Devise der DemonstrantInnen vor den Toren des Arbeitsamts. Helmuth Dieckwisch von der DGB-Beratungsstelle zeigt sich über den Auftakt der Proteste, die nun monatlich stattfinden sollen, zufrieden. „Wenn jeder beim nächsten Mal zwei weitere Leute mitbringt, wird das ganz doll.“Zur erwarteten Arbeitsamt-Besetzung kam es in Hamburg nicht. Denn das Amt, so Dieckwisch sei ja auch „der falsche Ort. Die Schuldigen sitzen in den Arbeitgeberverbänden, der Handels- und der Handwerkskammer.“Irgendwo dort soll am 5. März der zweite Protest von Erwerbslosen stattfinden.