Ende der Schicht

Calvinistischer Fleiß, unschlagbare Lakonie: Fischli/Weiss zeigen ihre „Arbeiten im Dunkeln“ in Wolfsburg. Sie zitieren den Kitsch nicht, sie fabrizieren ihn  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Seit zwanzig Jahren kommen die Werke aus dem Zürcher Atelier von Peter Fischli und David Weiss mit der Regelmäßigkeit eines Pulsschlags. Wo auch immer die Kunst im Zeichen der Postmoderne sich auftat, waren sie dabei: mit ganzen Ideen und nicht mit halben. Manchmal kamen sie mit der Kraft des Epischen daher – Hunderte von Miniaturen in Ton mit präzise skizzierten Alltagsszenen –, dann wieder traten sie als Strategen auf den Plan. Zum Beispiel, als sie das internationale Kunstgeplapper der Berliner Übersichtsschau „Metropolis“ (1991) mit einer winzigen, leise ratternden Skulptur konterkarierten, die im Prinzip aus einem kreisenden Plastikbecher bestand, der von einer Pfadfindertaschenlampe beleuchtet wurde.

Künstler der großen Geste sind sie nie gewesen, weshalb man die Breite des Ansatzes, die zwingende Kraft ihrer Metaphern und den technologischen Aufwand einiger Projekte leicht unterschätzt. Wie bei John Cage oder beim frühen Godard stellt sich beim Betrachter schnell das Gefühl ein, der Genuß des Werks, der emotionale Reichtum gehe auf den Rezipienten selbst zurück. Man fühlt sich unglaublich wohl, so schrecklich klug zu sein.

Wolfsburg ist, leider, die letzte Station einer Museumsausstellung zu Fischli/Weiss, die vor fast zwei Jahren vom Walker Art Center in Minneapolis unter dem Titel „In A Restless World“ auf den Weg gebracht wurde und jetzt „Arbeiten im Dunkeln“ heißt. Der Blick ist also von draußen gewendet nach drinnen. Tatsächlich liegt die Ausstellung im Dämmerlicht, mit einer konzisen Auswahl von Skulpturen, die – von sanften Spots akzentuiert – sich mit den farbigen Fernsehbildschirmen und wandgroßen Projektionen zu einem suggestiven Ambiente fügen. Die Abfolge der Räume und ihre Gestaltung könnte man wahrscheinlich noch in zehn Jahren aus dem Kopf rekonstruieren. Es hat etwas von Grammatik.

Wucht und Launen einer Kettenreaktion

Die (oder das) „Arbeiten im Dunkeln“ braucht die Ohren. Der erste Trakt der Ausstellung ist dominiert von dem Brummen der Motoren, von dem Reden, Musizieren, Hämmern aus zwölf Fernsehgeräten, die nichts anderes als von Fischli/Weiss gefilmte Genreszenen des Schweizer Alltags abspulen – parallel. Biegt man um die Ecke, in den zweiten Trakt, trötet von einem Schallplattenspieler endloser Schlagersoul, untermischt von dem Zischen und Poltern aus dem Film „Der Lauf der Dinge“: Das Protokoll einer pyromanischen Kettenreaktion, deren verspielte Launen und bildhauerische Wucht die Besucher der achten documenta (1987) sogleich in den Bann geschlagen hatte. Sollte alles andere verloren gehen, dieses eine Werk würde Fischli/Weiss ihren Platz im letzten Viertel dieses Jahrhunderts sichern.

„Der Lauf der Dinge“ war ein überaus gelungener Abschied vom karnevalesken Klappern Tinguelys; eine Wendung zu einer persönlicheren Sprache, die den Betrachter hineinzieht in die Garage, in die Produktion. Daraus abgeleitet ist wohl das Leitmotiv der Tunnel und Röhren. Im ersten Saal liegt auf einem Sockel eine „Röhre“ aus Gips, von der Größe, daß man sie so gerade noch schultern und davontragen könnte. Schaut man von der einen Seite hinein, ist es schwarz. Schaut man von der anderen Seite hinein, sieht man ein mattes Gegenlicht, stammend von der Diaprojektion dahinter. Die Röhre ist nämlich gebogen, und zwar genau bis dem Grad, daß man auch mit großer List an keiner Stelle hindurchschauen kann. Das Restlicht setzt sich indirekt fort.

Ein anderes Ding, genannt „Tier“: Es steht auf vier elefantösen Beinen und hat zwar Löcher im Kopf, aber das ergibt kein Gesicht. An der Rückseite hat es den Arsch offen. Überwindet man sich und sieht hinein, glotzt durch die Öffnungen im Kopf ein Kobold zurück. Der Effekt ist enorm. Nicht, daß man im Inneren wirklich Eingeweide vermutet hätte, aber die äußerlich glatte Skulptur wirkt von innen wie ein welkes Zelt. Vor allem aber wird das äußerlich genre- und genderfreie Tierobjekt durch die nach innen hineinschauende Physiognomie belebt, also verzaubert in ein halbmenschliches animal (in der lateinischen Wurzel steckt die Idee vom eingehauchten Lebensgeist). Nach außen nur ein Ding, schaut es sich – mit Hilfe der Anus-Voyeure – von innen gewissermaßen selbst an.

Weder die Objekt-„Röhre“ (1984) noch die „Tier“-Röhre (1985) übrigens sind wirklich aus Gips. Eine flüchtige Berührung lehrt, daß das hellgraue Material äußerst leicht ist, in der Beschilderung ausgewiesen als Polyurethan. Ein anderer Werkstoff im Atelier ist Beracryl, ein schwärzliches Gummi. Damit haben die Künstler über Jahre Objekte im Maßstab 1:1 kopiert. Im schmalen Eingangsbereich der Ausstellung grüßt eine schwere Kerze – kleiner Kommentar auf das Museum als Kirchenersatz. An der Kopfstelle des ersten Trakts steht die entwurzelte „Wurzel“ (1987) eines Baumes, ein romantisches Motiv. Wendet man sich vom zweiten Trakt zurück, sieht die Wurzel im Profil aus wie die Statue of Liberty.

Rotierende falsche Schallplatte, B-Seite

Auch die „Schallplatte“ (1988) ist tatsächlich der schwarze Abguß einer Schallplatte – wahrscheinlich der B-Seite. Allerdings schwebt der echte Tonkopf einen halben Zentimeter über der rotierenden falschen Platte. Im unechten Tausch kommt die echte Erstspielung des Abgusses – lange hält das selbstgegossene Acryl das Scratching nämlich nicht aus – aus dem Sockel über ein Endlosband. Die akkurat gezimmerten Sockel gehören zu den kleinen Freuden der wandernden Show, die ein Techniker aus Minnesota begleitete.

Wer bis zur „Schallplatte“ gekommen ist, wird sich wundern über die Gepflogenheiten eines Museums, das in einer perfekten Folge abgedunkelter Räume einen ganzen Saal im Zustand des Umbaus belassen hat. Da liegen Bretter und stehen Farbtöpfe herum. Das Einmal-Werkzeug der Baumärkte mit Resten eines Frühstücks vom HL-Markt; Aschenbecher, abgegriffene Tonkassetten. Ein Meter Tesakrepp versperrt den Eingang.

Man würde wohl meinen, daß Duane Hanson mit seinen lebensechten Figuren das Spiel mit der totalen Verwechslung auf die Spitze getrieben hätte. Aber Fischli/Weiss triumphieren mit der Anwendung des Prinzips auf erstens das Amorphe und zweitens ein komplettes Environment. Das einzige, was an dieser Baustelle echt ist, sind Spuren weißer Farbe. Alles andere – jeder Schraubenzieher, die Kassetten, die komlizierten industriellen Aufschriften – sind Polyurethan plus Pinselarbeit. Die Objekte sind geschnitzt, leicht wie Stroh. Das Werkzeug könnte man wegpusten („Ohne Titel“, 1993–1996).

So haben Peter Fischli und David Weiss sich herangepirscht an die großen Themen moderner Skulptur: Volumen und Mimesis. Die Tunnel-Objekte sind Erfindungen, Bildhauerei zum Denken. Die schwarzen Abgüsse handeln von der Magie des Objekts. Der Malerraum – die perfekte Täuschung – führt direkt zurück ins Atelier, koppelt das Handwerk mit der Kunst, die Idee mit der Tätigkeit. Fischli/Weiss haben ihr Werk frei gehalten von expressionistischem Formwillen und von minimalistischem Dünkel. Die Kombination von routinierter Lakonie und calvinistischem Fleiß ist einzigartig. Wie kaum andere Künstler unserer Zeit ermöglichen sie systematisch Einblick in ihre wuchernden Fragen nach dem Sinn im Nutzlosen. Die Zufuhr an Empirischem reißt nicht ab, und dennoch ist das Dynamische des Werks nicht der Fülle des Stoffs geschuldet, sondern der rhetorischen Qualität der inneren Ordnung. Wie jede gute Kunst, ist es Kunst über Kunst – aber auch für Zehnjährige ein Trip.

Die Alpen, der Furz und der Zorn Gottes

Die Wolfsburger Ausstellung weidet sich nicht an der ersten Werkphase von Fischli/Weiss, als sie mit Kücheninventar am „Stillen Nachmittag“ wacklige Skulpturen bauten, die den „Furz“ und den „Zorn Gottes“ darstellten. Die Zürcher Künstler – das Schweizer Gold im Rücken und die Alpen vor der Nase – haben sich eingeschworen auf eine verhaltene Analyse des Kitsches. So zeigen sie auf drei Fernsehmonitoren ihre selbsterstellten Allerweltsansichten von Allerweltsmotiven – Farbfotografien, die nur für einen Moment stehenbleiben und sogleich, im Schneckentempo, mit dem Folgemotiv überblendet werden. Dasselbe Prinzip gilt für die große Wandprojektion im ersten Raum, wo doppelt belichtete Dias von Blüten – der Traum des Fotoamateurs von 1965 – sich in ihrer Pracht übertrumpfen. So wie Claes Oldenburg die Wunder des Konsums bestaunt und gleichzeitig grotesk findet, sind auch Fischli/Weiss umgetrieben von Ambivalenzen, allerdings in bezug auf den Alltag, die Weltwunder und die Natur. Deshalb zitieren sie den Kitsch auch nicht, sondern fabrizieren ihn selbst. Die in Konventionen erstarrte Wahrnehmung „des Schönen“ mag eklig sein, vielleicht; aber die Blüten und die Pyramiden sind daran nicht schuld. Der schöne Schein verbirgt nicht das Häßliche, sondern das Schöne.

Obwohl sie nur sechs Jahre trennen – Weiss ist 1946 geboren wie Jeff Wall, Fischli ist so alt wie David Byrne –, scheint das Gefälle einer Sozialisation von vor und nach 1968 der Produktivität und Klarheit des Werks förderlich zu sein. Der Sarkasmus macht immer vor der Häme halt; die Poesie ist so weit geschliffen, daß ihre Codes freiliegen wie schöne gruselige Skelette.

Im letzten Raum läuft das „Kanal-Video“, eine Endlosfahrt durch die Abwasserröhren der Stadt Zürich. Natürlich ist auch dies ein Labyrinth, ein Raumtunnel – in touristischer Perspektive. Aus der Sicht der Arbeit ist es ein Zeittunnel, eine Strecke bis zum Ende der Schicht.

Peter Fischli, David Weiss: Arbeiten im Dunkeln. Kunstmuseum Wolfsburg, bis zum 3. Mai. Katalog mit Texten von Elizabeth Armstrong, Arthur C. Danto und Boris Groys, Cantz Verlag, 29 DM