Thesenpapier der SPD-Linken führt zu Verstimmung

■ Heftige Vorwürfe in der Fraktionssitzung. SPD-Parteivize Thierse: „Ich stehe zu dem Papier“

Bonn (taz) – In der SPD-Fraktionssitzung vom Dienstag abend war die Stimmung gereizt. „Verräter“, hieß es und: „Ihr seid schuld, wenn die Niedersachsenwahl verloren geht.“ Anlaß war ein Strategiepapier von sieben SPD-Linken, in dem gefordert wird, die SPD stärker als linke Partei zu profilieren. Beobachter sahen darin ein Bekenntnis zu Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidat.

Die Unterzeichner des Strategiepapiers seien „rundgemacht worden“, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Parteichef Lafontaine habe dagegen versucht, abzuwiegeln. Vereinzelt soll sich dagegen Widerstand geregt haben. Anke Fuchs soll gesagt haben, das Thema dürfe nicht unter den Tisch gekehrt werden. Wolfgang Thierse, einer der Unterzeichner, habe gesagt: „Ich stehe zu dem Papier.“ Eine ausführliche Diskussion sei aber unterbunden worden. Grund für die Aufregung bei der SPD sind eigentlich zwei Papiere. Eins davon war nicht für die Verbreitung vorgesehen. Darin fordern die sechs Unterzeichner Michael Müller, Ottmar Schreiner, Wolfgang Thierse, Detlev von Larcher, Gernot Erler und Eckart Kuhlwein unverblümt eine Ausrichtung der SPD auf eine linke Politik. In dem Begleitschreiben zu diesem Papier heißt es, SPD-Chef Lafontaine sei einverstanden. Aus seinem Umfeld hieß es gestern dazu, Lafontaine sei für eine „neue Politik für eine neue Mitte“. Die SPD sei eine Volkspartei und repräsentiere nicht eine bestimmte Gruppe. Es komme darauf an, Politik zu machen, die mehrheitsfähig sei. Der federführende Autor des Papiers, Michael Müller, sagte, die Äußerung sei mißverständlich gewesen. Lafontaine sei nicht über Einzelheiten informiert gewesen, sondern nur über die Forderung, daß sich die SPD stärker ökologisch profilieren solle.

In dem zweiten, einem offiziell verbreiteten Papier, das von den sechs Autoren sowie von Ludwig Stiegler unterzeichnet wurde, geht es um eine stärkere Ausrichtung der SPD zum Thema Nachhaltigkeit und um neue Antworten auf die Probleme der Globalisierung. Die Autoren mahnen, daß die Mobilisierung der SPD-Mitglieder und Wähler „nicht nur die Demonstration von Machtwillen“ erfordere, sondern auch programmatische Identität und politische Glaubwürdigkeit. Die Zustimmung zur Person des Kanzlerkandidaten, heißt es weiter, spiele gegenüber der Parteipräferenz eine untergeordnete Rolle. Die Umfrageergebnisse eines konservativen Sozialdemokraten seien noch lange keine Stimme für die SPD. Michael Müller zufolge waren diese Sätze nicht als Angriff auf den niedersächsischen Bewerber um die Kanzlerkandidatur, Gerhard Schröder, gemeint.

Es gehe ihm um ein grundsätzliches Anliegen. Er habe nur darauf hinweisen wollen, daß es nicht reiche, den Wahlkampf auf eine Person auszurichten. Es müsse möglich sein, sich über inhaltliche Fragen zu unterhalten, ohne sich von der Kandidatenfrage lähmen zu lassen. Das würden auch viele in der SPD so sehen. Allerdings heiße es auch: Muß das denn ausgerechnet vor der Niedersachsen-Wahl sein? Den Vorwurf, einen Lagerwahlkampf zu eröffnen, weist Müller zurück. Es gehe lediglich um gute und schlechte Politik. Die CDU werde ohnehin für eine Polarisierung im Wahlkampf sorgen. Markus Franz