Marlboro-Country als Legoland

Amateure und Dilettanten: Joel und Ethan Coens „The Big Lebowski“ ist ein Märchen aus der Welt der Baracken und Neonlichter. In der Parodie auf den Verlierer steckt ein Bekenntnis zur Angstlosigkeit  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Das Kino der Coen-Brüder handelt von grauenhaften Dingen, aber kennt kein Grauen. Es ist ein Leporello der Klischees, ein Kasperletheater, eine Lego-Logik. Alles, was groß ist, entpuppt sich als Miniatur. Selbst der gewaltige Plot, „der komplex ist, mit vielen Ein- und Ausgängen“, wie Jeff Lebowski, genannt The Dude, verkündet, wenn er nicht mehr weiterweiß, zeigt sich letztendlich als fadenscheinige Geschichte mit zweifelhaftem Personal. Jener Cowboy, der uns von der Bar eines Bowlingcenters zuzwinkert, scheint es zu wissen. Kein Wunder, denn die Geschichte ist ihm – in Veralberung der Wind-und-Wetter-Stimmen der Marlboro-Reklame – in den Mund gelegt; das epische Theater läßt grüßen.

Nach dem Wolkenkratzermärchen von New York („Hudsucker“) und der Krimisatire von Minneapolis („Fargo“) sind wir nun in Los Angeles angekommen, was den Vorteil hat, daß man Reichtum zeigen kann, ohne ihn allzusehr motivieren zu müssen. Man weiß ja, mit welch krummen Geschäften die Leute sich dort ihre Villen verdienen. Und dann gibt es noch die vielen anderen, die es nicht geschafft haben; oder die, die es gar nicht schaffen wollten.

Zu diesen gehört also The Dude, gänzlich überzeugend gespielt von Jeff Bridges: ein Mann, der das Nichtstun kultiviert und seinen Charakter auf Versöhnlichkeit getunt hat. So bleibt er in einer Clique hängen, die jeden Abend mit ihm verbringen würde, die ihn aber im entscheidenden Augenblick allein läßt. Als da wären: Walter Sobchak, ein fetter Vietnamveteran, und Donny. Donny ist ein fragiler Typ, der nichts begreift und wenig beizusteuern hat. Nur Steve Buscemi – in „Fargo“ der Entführer, der redet – kann so etwas spielen: dieses Grinsen mit schmalen, bebenden Lippen, das den Schmerz des Zukurzgekommenen nur schlecht verbirgt. Diesmal endet er nicht in der Häckselmaschine, aber gibt wiederum den Toten im Finale.

Die Gruppe wäre zu müde ohne Walter Sobchak, gespielt von John Goodman. Und wirklich gespielt: Auf der Pressekonferenz gab Goodman ein paar Pantomimen und lieferte die Hausmannskost des Alleinunterhalters; ohne Zweifel ist dieser Mann mit seinem bleichen, empfindsamen Gesicht eine ganze große Nummer. Sein Walter Sobchak aber ist ein Fettsack mit Bart und einer häßlichen Brille, der seine Kameraden mit einer angelernten biblischen Rhetorik in Schach hält und – wenn es darauf ankommt – zum falschen Zeitpunkt am falschen Objekt zornig Rache nimmt. Nicht einmal das Cholerische dieses Charakters wirkt authentisch; die Parodie auf Max Cady in Scorseses „Cape Fear“ ist gewollt.

Am arbeitslosen Lebowski, The Dude, ist das Interessante seine Passivität, sein eingeschliffenes Hippietum – wodurch die Geschichte in Gang kommt: ein Sog. Bei ihm, ausgerechnet, sollen die Schulden eingetrieben werden, die eine Bunny Lebowski hinterlassen hat. Das bringt The Dude auf die Spur von The Big Lebowski, der erstens in einem Rollstuhl und zweitens in einer Villa sitzt, eine reaganistische Variante des Hustler-Verlegers Larry Flynt in dem Film von Milos Forman. Einmal in den Bannkreis des Namensvetters Lebowski geraten, mutiert The Dude zu einem Hofnarren von mittlerem Talent.

Während die Freunde also einen Entführungsfall versuchen zu lösen – oder zu konstruieren –, kehren sie immer wieder in die Bowlinghalle zurück, um kleine Triumphe zu feiern und sich stoisch von feindlichen Teams beschimpfen zu lassen. Es ist nicht der erste Film mit Keglern; aber die physische Sensation, die Joel Coens Regie aus den Volumen der Objekte, aus der Mechanik des Wurfs und der Aufräumautomaten zu ziehen weiß, ist immens: die Rückkehr einer Kugel aus dem Kanal als Modell einer Sekundengeburt.

Da die Coens sich für kriminalistische Spannung bekanntlich nur begrenzt interessieren, gönnen sie sich ausführliche Unterbrechungen mit studiomontierten Traumbildern: The Dude auf dem fliegenden Teppich über L.A.; als Tänzer in einem 70er-Jahre-Musical; als Träumer, der von einer leinwandfüllenden schwärzlichen Kugel überrollt zu werden droht. Einmal werden ein Kegel und zwei Kugeln zu einem spacemäßigen Schwanz- und-Eier-Symbol montiert – in dem Moment, wo The Dude in die Fänge der Häscher geraten ist und kastriert werden soll. Aber wir sind im Märchen, und in diesem brauchen wir The Dude noch als zukünftigen Vater.

Es hat etwas Schockierendes, wie die Coen-Brüder ein Kino der Baracken, der Neonlichter, der Parkplätze immer wieder in sterile Piktogramme verwandeln. Im Fall von „The Big Lebowski“ hat das die Funktion, das notwendige Programm von Rockmusik aufzufangen – ein Hauch von Satire auf den Zwang zur Begleit-CD. Dylans „The Man In Me“ vom 1970er-Album „New Morning“ liefert das Intro: „The man in me will do nearly any task / And as for compensation, there's little he would ask.“ Die musikalische Nostalgie des Films wirkt aber längst nicht so schwermütig wie in „Breaking The Waves“, zum Beispiel.

Die Helden sind – anders als in „Fargo“ – hier die Dilettanten und Amateure. Tatsächlich meint der Ausdruck dude den putzigen städtischen Außenseiter im Cowboy- Milieu. Was dennoch Jeff Lebowski mit der Polizistin Maggie aus „Fargo“ verbindet, ist das Bewußtsein für das, was unrecht ist, gekoppelt mit einer gewissen Angstlosigkeit aus Naivität. „The Big Lebowski“, als Parodie auf die Loser- Fabel, bringt Frauen nur in exzentrischen Nebenrollen – der Schwachpunkt der Komödie, die ansonsten reich ist an verkorksten Symbolen, derangierten Zitaten und fürchterlichen Witzen: „This is not Vietnam, this is Bowling, – there are rules!“

Wettbewerb: heute, 20 Uhr, International