„Das gelingt der FDP nur in der Opposition“

■ Der Weg vom marktradikalen Kurs zurück zu den Bürgerrechten führt über die Opposition, meint Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger

taz: Hat das Ergebnis der Niedersachsen-Wahl dazu beigetragen, daß einzelne Abgeordnete der FDP auf einmal für Nachbesserungen beim Großen Lauschangriff gestimmt haben?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, das war eine Sachentscheidung, die nicht überraschen konnte. Schließlich haben die betreffenden Abgeordneten bei der Abstimmung am 16. Januar im Bundestag sogar gegen die Grundrechtsänderung gestimmt, die den Großen Lauschangriff erst ermöglicht hat.

Es gibt also keine Anzeichen dafür, daß sich die FDP zum Positiven ändert?

An der Kritik gibt es nichts zurückzunehmen. Die FDP hat mit dem jetzigen Kurs einer weitgehenden Zuspitzung auf Wirtschaftsfragen bei der Niedersachsen-Wahl eine bittere Niederlage erlitten.

Welche Lehre kann die FDP daraus ziehen?

Die CDU hat in Niedersachsen mit Helmut Kohl verloren – der sich dort in besonderer Weise eingesetzt hat. Deshalb darf sich die FDP nicht nur als Anhängsel der CDU präsentieren.

Was muß sich bei der FDP tun?

Liberale Politik muß auch darauf hinwirken, daß die Menschen sich in unserer Gesellschaft gerecht behandelt fühlen. Dieser Aspekt wird von der FDP vollkommen vernachlässigt.

Ist es nicht unrealistisch, daß die FDP ihren marktradikal fixierten Kurs noch mal ändert?

Es ist derzeit eher unwahrscheinlich, daß die Parteiführung Kurs und Themenauswahl inhaltlich ändert. Das könnte am ehesten gelingen, wenn sich die FDP in der Oppostion wiederfände. Die FDP muß deutlich machen, daß es nicht hochmodern ist, die Grundrechte einzuschränken. Ralf Dahrendorf weist seit längerem darauf hin, daß eine der entscheidenden Herausforderungen des nächsten Jahrtausends sein wird, welche Rolle die Freiheit des einzelnen in Anbetracht der Globalisierung spielt und wie sie gegen den starken Staat im Innern verteidigt werden kann.

Die FDP war mal eine Bürgerrechtspartei. Warum hat sie dieses Image abgelegt?

Die FDP hat bei der Inneren Sicherheit befürchtet, in die Defensive zu geraten. Sie ist auf den verkehrten Vorwurf hereingefallen, andernfalls Täterschutz statt Opferschutz zu betreiben. Das Argument, die Angst der Bürger sei so groß, daß man ihr nur gerecht wird, wenn man sich gewissen Instrumenten nicht verweigert, stimmt ja nicht. Wer hat denn diese Ängste geschürt? Das haben konservative Politiker getan, um ihre Instrumente durchzusetzen.

Wer ist dafür verantwortlich, daß die FDP Bürgerrechtspositionen räumt? Generalsekretär Westerwelle?

Das ist nicht eine Person. Früher ist der Generalsekretär in der Sache ja immer derselben Meinung wie ich gewesen. Als Chef der Jungen Liberalen und auch als Mitglied im Bundesvorstand hat er immer gegen den Lauschangriff gestimmt.

Also stehen bei Westerwelle taktische Gesichtspunkte im Vordergrund?

Natürlich spielen taktische Überlegungen eine Rolle. Das hat was mit Koalitionsräson zu tun. Es gibt in der FDP aber auch starke Kräfte um den Fraktionsvorsitzenden herum, die generell einen Abwägungsprozeß zwischen Effektivität der Kriminalitätsbekämpfung und Grundrechten vornehmen und letzteren im Zweifel eine untergeordnete Bedeutung beimessen.

Spielt auch der Zeitgeist eine Rolle?

Davon kann sich kaum eine Partei freimachen. Dabei handelt es sich aber um eine Überlegung, die letztendlich nicht aufgeht. Wenn man einmal ja sagt zum Lauschangriff, werden weitere Eingriffe zwangsläufig folgen. Als nächstes kommt die Videokamera. Das kann man in der Sache nicht ablehnen, weil es aus Effektivitätsgründen besser ist. Es wird auch die Debatte über einen weiteren Zugriff auf Geld kommen, das durch Geldwäsche erlangt ist. Die FDP hat zwar gesagt, Artikel 14 (Eigentum) ist für uns unantastbar. Aus Gesichtspunkten der Effektivität ist aber auch das nicht zu halten. Es ist also überhaupt nicht absehbar, wo es eine Grenze gibt. Von daher war es auch nicht aus der Luft gegriffen zu sagen, dann können wir auch die Folter nicht mehr ablehnen. Verfassungsjuristen denken schon ernsthaft darüber nach, ob Folter rechtsstaatlich möglich wäre.

Westerwelle richtet die FDP zunehmend zu einer marktradikalen Partei aus. Entspricht das nicht dem weitverbreiteten Gefühl der Menschen, die Belastungen durch Steuern und Abgaben seien zu hoch?

Die FDP muß sich natürlich dafür einsetzen, daß Belastungen für Bürger zurückgeführt werden. Liberalismus ist aber mehr als dieses Thema. Genauso müssen wir auch die Gesellschaftspolitik besetzen, also das Zusammenleben von Schwächeren, Behinderten, Frauen, Kindern und Rechte von Minderheiten. Die FDP kann nicht sagen, erst machen wir eine Steuersenkung und dann, wenn es paßt, die Gesellschaftspolitik. Ein Thema wird einer Partei nur dann zugerechnet, wenn sie es kontinuierlich vertritt. Ich sehe das Risiko für die FDP, daß sie mit bestimmten Inhalten nicht mehr glaubwürdig in Verbindung gebracht wird.

Hat es was mit Liberalismus zu tun, wenn man wie der Generalsekretär der FDP sagt, wir wollen Politik für die Fleißigen machen, nicht für die Faulen, für die Einsteiger, nicht die Aussteiger?

Mit diesen Äußerungen kann ich mich so nicht identifizieren. Liberalismus heißt, allen die Chance zu verschaffen, für sich selber sorgen zu können. Liberale Sozialpolitik ist auch mehr als die Versorgung mit warmen Essen und Suppenküche.

Macht sich die FDP gegenüber der Mittelstandsvereinigung der CDU überflüssig?

Das ist es ja, was ich immer in der FDP thematisiere. Die marktwirtschaftliche Politik der FDP ist im Kern konservativ, nach dem Motto, die Marktkräfte müssen sich vollkommen frei entwickeln. Der Markt darf aber nur Instrument liberaler Politik sein, nicht Inhalt. Sonst gibt es Verhältnisse wie in Singapur.

Was meinen Sie damit?

Daß es eine Politik, bei der politische und gesellschaftliche Freiheiten zu Lasten eines freien, ungezügelten Marktes fast keine Rolle mehr spielen, nicht geben darf.

Was hat die FDP noch gemein mit der Partei, in die Sie eingetreten sind?

Ich bin in den 70er Jahren eingetreten, als es eine wirkliche Reformbewegung in unserer Gesellschaft gegeben hat, gerade im Bereich der Rechtspolitik. In den 80er Jahren wurde die Situation durch den RAF-Terrorismus verschärft. Seit 1982 gibt es nun Verschärfungen in der Kriminalitätspolitik mit mehr als 40 Gesetzesänderungen und das alles ohne konkrete Bilanz, was diese Maßnamen erbracht haben. Es ist immer nur draufgesattelt worden. Das ist eine Qualitätsveränderung.

Gibt es in der Politik einen Verlust von Prinzipien?

In Fragen gesellschaftlicher Grundfreiheiten ja.

Sehen Sie diese Freiheiten gefährdet?

Freiheit hat im Moment nicht den Stellenwert in unserer Gesellschaft, wie es für das Funktionieren unserer Demokratie notwendig wäre. Viele meinen, wir hätten genug an Freiheit. Das hat zu dem geführt, was Theodor Heuss sagte: Man sieht die Bedeutung von Freiheit erst dann, wenn sie abgeschafft ist. Man muß sehen, daß Sie in einer Gesellschaft nicht nur partiell über Freiheit reden können dürfen, sondern daß eine Politik, die sagt, wir müssen stärker andere Schwerpunkte als Freiheit setzen, zu einer Atmosphäre führt, die Freiheit einen immer geringeren Stellenwert beimißt. Im Moment befinden wir uns eher in einer solchen Entwicklung. Da sind wir wieder bei Singapur. Interview: Markus Franz