„Schaltet Krümmel endlich ab“

■ Neuer Leukämie-Fall in der Elbmarsch / Experten befürchten noch weitere Erkrankungen, Politiker streiten derweil um Studie

Die am Donnerstag bekannt gewordene Leukämie-Erkrankung eines zehnjährigen Jungen aus der Elbmarsch (taz berichtete) alarmiert Bürgerinitiativen, PolitikerInnen und Ministerien: „Schaltet Krümmel endlich ab“, forderten gestern die BI Leukämie in der Elbmarsch und die schleswig-holsteinischen Grünen.

Seit 1989 sind in der Gemeinde Elbmarsch gegenüber dem Atommeiler Krümmel sieben Kinder an Leukämie erkrankt. Die bisherigen Erkrankungen wurden in zwei Zeiträumen (1989 und 1991) diagnostiziert. Fraglich ist, ob der neue Fall – bei einer längeren Latenzzeit – noch der letzten Erkrankungsreihe zuzuordnen ist oder ob er später verursacht wurde. Trifft letzteres zu, sei mit weiteren Erkrankungen zu rechnen, fürchten Experten.

Für viele Menschen vor Ort steht fest, daß die deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegende Leukämie-Rate auf radioaktive Strahlung aus dem AKW Krümmel zurückzuführen ist. „Wir würden das AKW gern stillegen, haben dazu aber ohne Änderung des Atomgesetzes keine Möglichkeit“, teilte das Kieler Energieministerium mit. Die Betriebsgenehmigung sei erst dann „auf dem Prüfstand“, wenn „eine Kausalität zwischen den Emissionen des Kernkraftwerks und den Erkrankungen“ bestehe. Die konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Dringend nötig ist deshalb Ursachenforschung, fordern die Betroffenen.

Eine hierzu Ende 1994 beschlossene bundesweite Fall-Kontroll-Studie unter Leitung des Bremer Epidemiologen Eberhard Greiser, die auch die Elbmarsch untersuchen sollte, liegt auf Eis. Schuld sei „die bewußte Verzögerungstaktik aus ideologischen und politischen Gründen“, warf der Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums, Thomas Steg, der Bundesregierung vor. Ende 1994 habe Bonn neun Millionen Mark für die Studie zugesagt; Schleswig-Holstein und Niedersachsen wollten sich mit je 500.000 Mark beteiligen. „Wenn bis Ende August keine Reaktion aus Bonn kommt, beginnen wir die Studie allein“, drohte Steg. Untersucht würde dann nur die Elbmarsch. Auch im Kieler Umweltministerium hieß es, man könne nicht „bis zum St. Nimmerleinstag warten.“

Das Bundesumweltministerium wies die Vorwürfe zurück: Greisers „Studiendesign“ beharre auf der Kernkrafthypothese und widerspreche den Vereinbarungen mit der Strahlenschutzkommission. Bisher sei keine Ursachen-Theorie bestätigt, molekularbiologische Forschung sei deshalb nötig. Außerdem habe Bonn nie eine exakte Summe für die Studie genannt.

Heike Haarhoff