Piraten werden Partner

■ Zehn Jahre lang hat der kleine Kanal 4 die großen RTL und Sat.1 mit anarchistischen Sendefenstern in deren Programmen geärgert. Nun sollen die TV-Davids mit den Goliaths ganz friedlich marktgängige Magazine entwicke

Man sieht gleich, daß etwas nicht stimmt. Zwar könnte die Szene (zwei Pornodarsteller am Set einer Sexfilmproduktion) durchaus ins Nachtprogramm der Privatsender passen. Aber, daß sich die Kamera so gar nicht für die geschlechtlichen Details der Darsteller interessiert, sondern vielmehr für das umstehende Team und dieses auch noch zu singen anhebt: „Wir drehen 'nen Porno mit Niveau“ – macht deutlich: Nur Kanal 4 kann dahinterstecken.

Seit zehn Jahren bespielt der Kölner Sender mehrmals monatlich RTL und Sat.1. Um nämlich nicht auf die lukrativen Antennenfrequenzen in NRW verzichten zu müssen, die sie damals nur unter dieser Bedingung bekamen, ließen die Privaten die Piraten vom Kanal 4 gewähren. Freilich mit äußerstem Widerwillen: Nicht nur sahen sie von den eigenwilligen Produktionen der Kölner ihre Quoten gefährdet. Sondern auch ihren Ruf.

Es gab ständig Ärger um die Sendeplätze. Doch weil in diesem Jahr die Antennenfrequenzen in NRW neu vergeben wurden, mußte auch über die Zukunft der Kanal-4-Fenster neu verhandelt werden. Das Ergebnis, auf das sich die beiden Großsender, Kanal 4 und die Düsseldorfer Medienanstalt LfR einigten, bringt für die Fensterfüller große Einschränkungen. Die wichtigste: Während die Kölner bislang ihre Sendeinhalte weitgehend autonom bestimmten, werden sie sich in Zukunft genau an die Vorgaben von RTL und Sat.1. anpassen müssen. Damit ist die „Unabhängigkeit dahin“, wie Kanal-4-Geschäftsführer Eberhard Heyse es ausdrückt. „Man hat uns programmlich unter der Knute“, meint auch Redakteurin Lisa Heymann. Tilman Kennel, Bereichsleiter bei RTL, hingegen nennt das „ein ganz normales Auftragsproduzenten-Verhältnis“.

Einige Mitstreiter und viele Fans halten es indes für möglich, daß nun das Ende des Eigensinn- TVs eingeleitet wird – zumal die Verträge zunächst nur über zwei Jahre laufen; und zumal gleichzeitig die jährliche Sendezeit von Kanal 4 drastisch gekappt wurde: Bei Sat.1 sind es nur noch 720 Minuten statt bisher 1.680, bei RTL wurde das Zeitbudget von 1.950 auf 1.200 Minuten gekürzt. Trotz der Einschränkungen gibt es aber auch Stimmen, die in den Bedingungen auch eine Chance für einen „Neuanfang“ sehen. Immerhin wird mit der Sendezeiteinschränkung zugleich der bislang äußert knapp bemessene Minutenpreis erhöht, den die Großsender an Kanal 4 zahlen müssen – bei Sat.1 fast auf das Doppelte, bei RTL immerhin ein klein wenig. Damit, so das Kalkül bei Sat.1, ließen sich die Kanal-4- Programme quotenverträglicher ins Sat.1-Programm einpassen, weil die Kölner mit mehr Geld gediegenere Fernsehbilder zustande bringen könnten: „Der deutsche Zuschauer ist Hochglanzfernsehen gewöhnt“, argumentiert Sendersprecherin Kristina Faßler, „und wenn er kein Hochglanzfernsehen bekommt, schaltet er ab.“ Für den Berliner Sender soll Kanal 4 jetzt wahrscheinlich ein monatliches Musikmagazin entwickeln. Über den Platz bei RTL soll eine Arbeitsgruppe beider Seiten sprechen. Was künftig gesendet wird, ist zumindest Kanal-4-Frau Heymann schon klar: „Die wollen marktgängige Formate haben.“

So etwas war bislang gar nicht die Aufgabe der unabhängigen Sendefenster – eher sollten sie noch einen Ansatz kultureller Vielfalt ins Privat-TV bringen. Doch während Alexander Kluges dctp eine eigene Sendelizenz für sein Fenster bekam und sich mit „Stern TV“ und „Spiegel TV“ bei den Großsendern so beliebt machte, daß diese auch seine als elitär verschrienen Kulturstrecken duldeten, profitierte Kanal 4 nur von einer minder komfortablen Regelung. „Interessenten aus dem kulturellen Bereich“, hatte die SPD ins Privatfernsehgesetz geschrieben, „ist eine angemessene Beteiligung zu ermöglichen“.

Mit Beginn letzten Jahres brachen dann Hoch-Zeiten für Fenstersender an – theoretisch. Der neue Rundfunkstaatsvertrag verpflichtete nämlich alle Sender, die dauerhaft mehr als zehn Prozent der Zuschauer erhalten (also Sat.1 und RTL), zwei Sendefenster aufzunehmen – bundesweit. Doch Kanal 4 ging leer aus. Der Sendeplatz neben Alexander Kluge (der von vornherein auf das Fenster abonniert schien) wurde weniger nach Vielfaltsgesichtspunkten vergeben, sondern nach denen des Standorts – die für Sat.1 zuständige Rheinland-Pfälzer Medienanstalt LPR gab den Sendeplatz z.B. einem ehemaligen Sat.1-Manager, den sie mehrfach bei verbotener Schleichwerbung erwischte. So kommt es, daß für Kanal 4 nicht mehr zu holen war, und die Programm-Macher sich jetzt sagen lassen müssen, es sei ja noch glimpflich abgegangen, wie Lisa Heymann erzählt. „Uns fehlt einfach die politische Unterstützung, die andere haben“, resümiert sie. Lutz Meier