Irrland Von Martin Sonneborn

Vor geraumer Zeit wollten die Dame Tanja und ich nach Irland reisen. Schnell hatten wir für 900 Mark Flugtickets erworben, wertvolle Insidertips gesammelt („Nordküste!“, „Südküste“!), höfliche Floskeln und Phrasen einstudiert („Hello! I'm welcome!“, „Oh, you here don't know ,th‘, too?! Great: tree Bier, please...“) und keine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen.

Exakt sieben Tage vor Urlaubsbeginn ließ uns ein berühmter latenight-talker wissen, daß er uns im Lande brauche. Es wird Sie nicht weiter überraschen, daß bei der anschließenden Diskussion eine Teekanne zu Bruch ging. „Schön, schön, bleiben wir also hier“, hieß es schlußendlich fast versöhnlich bzw. „Du Idiot! Und was machen wir mit den Tickets?!“ Keine ganz einfache Frage, zugegeben. Aber wozu hat man Freunde, Verwandte, Nachbarn, irgendwelche Leute, neben denen man im Kino sitzt, den Bundeskanzler und seine Frau? Ja, wozu eigentlich: Alle, die das Angebot einer kostenlosen Irlandreise nach zwei Tagen nicht explizit abgelehnt hatten, waren – hätten Sie's gedacht?! – der Bundeskanzler und seine Frau. Das waren auch die einzigen, denen wir das großherzige Geschenk nicht mündlich gemacht hatten. Sondern per Brief. Und, um ihm, Kohl, die Entscheidung zu erleichtern, als „junges Paar aus Ostberlin, das lange gespart hat, weil es zum 1. Mal ins Ausland will (früher ging das ja bei uns nicht)“. Das dann aber den „verehrt. Dr. Kohl, der das Ganze ja erst möglich gemacht hat, abgespannt und müde (wg. Problemen im Osten!) im TV gesehen“ hat, urlaubsreif: „Wir haben uns angeguckt und gesagt, jetzt haben wir so lange auf unsere 1. Reise gewartet, da kommt es auch nicht mehr drauf an!“ Der knappen Zeit halber fügten wir die Flugscheine gleich bei und schlossen „in aufrichtiger Bewunderung...“

Bitte bedenken Sie, mit welcher Spannung wir in den nächsten Tagen die Nachrichten verfolgten! Allein, kein Bericht über Kohls Reisevorbereitungen, nicht mal die Absage der überflüssigsten Kanzlertermine. Drei Wochen später kamen unsere Tickets zurück – unbenutzt. Und natürlich: verfallen! Der Kanzler hatte seinen pers. Referenten Nelius gebeten, „uns herzlich für die fürsorgliche Anteilnahme zu danken“. Unsere Ausführungen seien „aufmerksam und mit Sympathie aufgenommen“ worden, und obwohl der Kanzler „sich über das Zeichen der Verbundenheit sehr freute und als Dank je ein Foto mit seinem Namenszug beifügte“, habe er sich „aus grundsätzlichen Erwägungen“ gegen die Reise entschlossen. Daß die Tickets nicht, wie wir per Postscriptum gebeten hatten, in diesem Falle Herrn Innenminister Kanther gereicht wurden, geschenkt. Daß hier – Sie erinnern sich – 900 Mark durch den Schornstein gingen; ebenfalls. Daß unser nächstes, leicht vorwurfsvolles Schreiben („Verehrter Bundeskanzler Kohl, so geht das aber nicht...“) mit einer wenig freundlichen, aber profunden juristischen Ausleuchtung der vorliegenden Situation beantwortet wurde; nun ja!

Aber daß sich jemand – und sei es nur sein, Kohls, Referent Nelius – mit dem Gedanken beschäftigen mußte, irgendzwei durchgeknallte Ostberliner hätten dem Kanzler Flugscheine geschenkt: Das hat schon etwas hochrangig Bescheuertes; wie auch ungemein Reizvolles.