Jelzin zu Besuch im Kreml: Regierung muß gehen

■ Russischer Präsident entläßt Ministerpräsident Tschernomyrdin und sein gesamtes Kabinett. Der Reformkurs soll „neue Impulse“ erhalten. Kohl morgen in Moskau

Moskau (rtr/AFP) – Rußland hat seit gestern keine Regierung mehr – dafür aber einen wieder gesundeten Präsidenten und einen neuen geschäftsführenden Ministerpräsidenten. Boris Jelzin beauftragte den erst 35jährigen bisherigen Energieminister Sergej Kirijenko mit der Bildung eines neuen Kabinetts, nachdem er zuvor Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin mit seiner gesamten Mannschaft entlassen hatte. Der bisher wenig bekannte Kirijenko war erst im vergangenen Sommer ins Kabinett eingetreten. Nach Angaben von Kreml-Sprecher Jastrschembski ist Kirijenko der „wahrscheinlichste, der stärkste und realistischste“ Kandidat als nächster Regierungschef.

Jelzin versicherte in einer Fernsehansprache, daß die Kabinettsentlassung keine Änderung des Reformkurses bedeute. Das alte Kabinett sei intern zerstritten gewesen und habe die Bevölkerung nicht zu überzeugen vermocht. Die künftige Regierungsmannschaft solle einen neuen Reformimpuls geben. Die meisten Minister blieben gestern vorläufig geschäftsführend im Amt. Innenminister Anatoli Kulikow wurde jedoch entlassen und durch seinen Stellvertreter Pawel Maslow ersetzt. Unklar blieb das Schicksal der beiden reformorientierten Vizeministerpräsidenten Anatoli Tschubais und Boris Nemzow.

Tschubais verlor seinen Posten, bleibt aber nach eigenen Worten weiter in der Nähe Jelzins. Der bisherige Ministerpräsident Tschernomyrdin soll im Auftrag Jelzins die Parlamentswahl 1999 und die Präsidentenwahl im Jahr 2000 vorbereiten. Bislang galt der 59jährige Tschernomyrdin als einer der aussichtsreichsten Nachfolger Jelzins im Präsidentenamt. Mit seinem Ausscheiden aus der Regierung dürften seine Chancen nach Ansicht einiger Moskauer Beobachter allerdings eher gesunken sein.

Ungeachtet der fehlenden russischen Regierung wird Bundeskanzler Kohl morgen abend zu Gesprächen mit Jelzin nach Moskau reisen. Jelzin, Kohl und der französische Staatspräsident Jacques Chirac wollen am Donnerstag in der Nähe von Moskau zusammentreffen. Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 12