■ Schauplatz Schule: In den neuen Bundesländern hat sich ein Netzwerk gegen rechtsextreme Alltagskultur etabliert
: Dienstleistung für die Zivilgesellschaft

Gerade waren drei ratlose Betreuer aus einem Wohnprojekt für Jugendliche da – ihre Sprößlinge werben neuerdings mit Handzetteln für die NPD. Eine Jugendklubleiterin bittet um Beratung, weil Neonazis sich in ihrer Einrichtung breitmachen. Ein Schulleiter ruft an, nachdem die halbe Mittelstufe mit Glatzen und Bomberjacken aus den Ferien zurückkam. Solche Meldungen tauchen selten in den Medien auf – schließlich ist niemand mit dem Baseballschläger verprügelt worden. Aber sie sind inzwischen Alltagskost für eine neue und noch kleine Branche in den neuen Bundesländern: „Wir bieten Serviceleistung für die Zivilgesellschaft“, sagt Anetta Kahane, Leiterin einer Einrichtung mit dem sperrigen Namen „Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule“ – kurz RAA. 17 solcher Arbeitsstellen gibt es mittlerweile in der ehemaligen DDR.

Mit neuen Dienstleistungen ist das so eine Sache: Man muß die potentiellen Kunden erst einmal von ihrem Nutzen überzeugen. Daß die Zivilgesellschaft – oder auch nur zivilisierte Umgangsformen – erstrebenswert sind, glaubt nicht jedermann. So mancher Bürgermeister findet die Verfolgungsjagden von Skinheads in seiner Stadt auf Immigranten, Punks oder Behinderte weniger schlimm als die Zeitungen, die darüber schreiben. So manche Lehrer stören sich nicht weiter an den „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“-Aufnähern auf den Jacken ihrer Schüler, solange diese im Unterricht Ruhe geben.

Auch der Schulleiter der 3. Gesamtschule im Ostberliner Stadtteil Hellersdorf war nicht gerade begeistert, als 1991 die RAA einen Schülerklub mit dem beunruhigenden Adjektiv „interkulturell“ eröffnen wollte. Immigranten wurden gezielt als Projektleiter eingesetzt – anfangs noch bewacht von deutschen Mitarbeitern. Inzwischen verwalten die Schüler ihren Klub selbst; der Stolz auf das Deutschsein hat gewaltig an Reiz verloren; und die Schulleitung hat erfahren, daß interkulturelle Arbeit nicht nur Ärger, sondern auch Gelder und Anerkennung bringen kann. Heute ist der Hellersdorfer Schülerklub Vorbild eines Senatsprogramms für 60 weitere Einrichtungen dieser Art.

Das klingt wie ein zauberhaftes Erfolgsmodell und verdeckt die mühselige Kleinarbeit, die dahintersteckt. Ziel der RAAs ist es, die Schulen zum zentralen Kunden zu machen. „Die Schule“, sagt Kahane, „ist gleichzeitig Pflichtveranstaltung und der dezentralste Platz, wo man alle Beteiligten zusammenholen kann: die Kinder und die Erwachsenen.“ Doch ihre Vision eines Ministadtteils, der ganztags nicht nur den Kindern und Jugendlichen, sondern der ganzen Nachbarschaft offensteht, stößt auf zahlreiche Hindernisse. Zum Beispiel die strikte bürokratische Trennung von Schul- und Jugendämtern.

Viel Geld verdient man mit „Service für die Zivilgesellschaft“ nicht. Rund 120 Leute sind in den 17 RAAs beschäftigt. In der RAA Berlin sind es allein 27, wobei lediglich Kahanes Stelle vom Senat finanziert wird. Fünf Arbeitslose arbeiten ehrenamtlich mit, erstellen Chronologien rechtsextremistischer Vorfälle, beraten russische Juden oder sortieren die kleine Mediathek, in der man Bücher zu Themen wie Rechtsextremismus, Rassismus und Gewaltbereitschaft, Unterrichtsmaterial oder die Computerspiele der RAA für Kinder ausleihen kann. Neben den Ehrenamtlichen arbeiten Halbtags-, Honorar- und Stundenkräfte mit, betreuen die Schülerklubs, machen Öffentlichkeitsarbeit. Überstunden fallen unter „Selbstausbeutung & Engagement“, eingeworfene Fensterscheiben oder Brandanschläge (wie unlängst von Rechtsextremen gegen die RAA im brandenburgischen Angermünde) unter das Berufsrisiko.

Die meisten Mitarbeiter können ihre berufliche Qualifikation in die neue Dienstleistungsbranche gut einbringen: Bibliothekare, Sozialpädagogen, Lehrer oder auch gelernte Polizisten wie der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner. Kahane selbst war nach der Wende Ausländerbeauftragte in Ostberlin. Der Berliner Senat zahlt derzeit lediglich ihre Stelle als RAA-Leiterin. Die Förderung als Modellversuch durch die Bund-Länder-Kommission läuft demnächst aus. Gäbe es nicht im westdeutschen Weinheim eine Stiftung der Firma Freudenberg, die 1990 quasi als Geburtshelfer der RAA auftrat und jährlich 650.000 Mark in die Berliner Arbeitsstelle und das von ihr mitgegründete „Zentrum Demokratische Kultur“ steckt, gäbe es wohl keine „Serviceleistung für die Zivilgesellschaft“. Wobei die Kapazitäten der RAAs längst erschöpft sind: Inzwischen bitten so viele Lehrer, Jugendbetreuer, Streetworker, Gemeinderäte oder Vereine um Informationen und Schulungen, daß die RAA- Mitarbeiter nicht mehr nachkommen. Die Nachfrage ist da – was fehlt, ist das Geld für die Expansion. Andrea Böhm