Industrie: Azubis en gros

■ Alle Jahre wieder: Lobbyisten Hundt und Stihl versprechen jedem eine Lehrstelle

Berlin (taz) – Jeder, der will, soll in diesem Jahr einen Ausbildungsplatz bekommen. Das versprach jedenfalls der Präsident des Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, gestern in Bonn. Um zwei Prozent soll diesmal das Lehrstellenangebot steigen. Gut 300.000 neue Ausbildungsverträge sollen abgeschlossen werden. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt freute sich: „Damit können wir ausreichend Stellen auch bei wachsenden Bewerberzahlen zur Verfügung stellen.“

Nach Jahren der Lehrstellenkrise will die deutsche Wirtschaft nun Tausende von niegelnagelneuen Ausbildungsplätzen aus dem Arbeitgeberhut zaubern. Eine Krise habe es eigentlich nie gegeben, glaubt DIHT-Präsident Stihl. Stihls Erklärung ist einfach: Schuld soll die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg sein. Sie verfälsche mit ihrer Statistik die tatsächliche Lage, erklärte Stihl und fragte: „Was soll ich von einer Statistik halten, die im Juli 1997 noch 216.000 angeblich unversorgte Bewerber zählt, die dann – quasi über Nacht – bei den Septemberzahlen auf 47.000 schrumpft.“ Er forderte die Bundesanstalt auf, mit den „Horrorzahlen“ ihrer Statistiken keinen „Schindluder“ zu treiben.

Arbeitgeberpräsident Hundt stimmte in die Statistikschelte ein. Immer mehr junge Menschen, so vermutet Hundt, melden sich vorsichtshalber bei den Arbeitsämtern, obwohl sie Alternativen in Aussicht hätten. Immer mehr Betriebe würden ihre freien Stellen nicht melden, weil sich die Bewerber direkt an die Firmen wenden.

Dieser Auffassung wiedersprach Eberhard Mann, Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit, gegenüber der taz. „Noch im Dezember waren 38.000 Jugendliche nicht vermittelt – bei 11.900 offenen Stellen.“ Da seien durchaus noch Probleme. Von einer „Krise“ aber habe die Bundesanstalt nie gesprochen. Auch Gewerkschaften, Kommunen und Länder mußten harte Kritik über sich ergehen lassen. Die hätten nämlich, so die beiden Wirtschaftsführer, bei der Schaffung von neuen Ausbildungsplätzen ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Zudem kämen viele aus der Schule, ohne richtig lesen und schreiben zu können.

Eine klare Absage erteilten Stihl und Hundt erneut einer Ausbildungsplatzumlage. Firmen, die nicht ausbilden, sollen eine Strafabgabe zahlen, fordert die SPD. Hundt konterte: „Dieses Instrument ist das Problem, für dessen Lösung es sich hält.“ Heute treffen sich die Spitzen der Wirtschaftsverbände mit Bundesbildungsminister Rüttgers (CDU) zum Lehrstellengespräch. Thorsten Denkler