Wollen die Ostdeutschen einen wie ihn?

Auch im Wahlkampf in Sachsen-Anhalt bleibt Gerhard Schröder unverwechselbar Westdeutscher – doch weil viele Ostwähler hoffen, daß der Auto-Mann Arbeitsplätze schafft, nehmen sie ihm nicht mal seine 70-Mark-Zigarren übel  ■ Von Markus Franz

Bonn (taz) – Wahlkampfreise des SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder in Sachsen-Anhalt. Eng sitzen Schröder und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, auf einer Bank im Veranstaltungsraum der Baggerstadt „Ferropolis“ zusammen. Schröder hält den Oberkörper gestrafft und hat beide Arme ausgefahren. Höppner zieht die Oberarme hinter den Rücken zurück. Sein Oberkörper ist gebogen wie ein Löffelchen. Keine Frage, wer da der Wessi und wer der Ossi ist. Fehlte nur noch, daß Schröder eine seiner 70-Mark-Zigarren qualmte.

Dann geht Schröder zum Mikrofon. Er sagt, wie er es gern in Ostdeutschland tut, wie stolz die Menschen in der Region auf das sein können, was sie nach der Wende im allgemeinen und im besonderen hier vor Ort geleistet haben. Am Schluß seiner kleinen Rede verspricht er wiederzukommen. Dann, wenn die riesige Braunkohlegrube im Städtedreieck Bitterfeld–Dessau–Wittenberg planmäßig zu einem See geworden ist. „Vielleicht können wir dann ja mit einem Paddelboot fahren“, sagt Schröder. „Mal sehen, lieber Reinhard, wer der Schnellere ist.“

Kämpfen und Rudern ist Schröders Metier. Wer zweifelte schon daran, daß er der Schnellere wäre. Aber wollen die Ostdeutschen so einen als Bundeskanzler haben? Können sie sich mit einem anfreunden, der dicke Zigarren qualmt, der angeblich der Wiedervereinigung skeptisch gegenüberstand, der Ostdeutschland nur selten besucht hat, der in dem Ruf steht, seine Ansichten öfter geändert zu haben, einem, den viele als Macho empfinden, einem, der im niedersächsischen Wahlkampf Sprüche raushaute wie: Es gebe da leitende Mitarbeiter in LPGs, die nicht mal wüßten wie das Wort geschrieben ist? Schröder bemüht sich, die Vorurteile eines nach dem anderen auszuräumen.

Wahlkampfveranstaltung für die Oberbürgermeisterwahl in Leipzig am vergangenen Donnerstag abend: Mit einem flotten Sprung nimmt Schröder die Bühne. Noch vor kurzem hatte ihm der CDU-Kandidat für die Sachsen- Anhalt-Wahl, Christoph Bergner, vorgeworfen, noch nie in Thüringen gewesen zu sein. Nun sagt Schröder: „Ich war wiederum gespannt auf Leipzig. Es ist ja nicht so, daß ich nicht schon oft hiergewesen wäre.“ Wenigstens in Sachsen war er also schon öfter.

Und Schröder kann noch eins draufsetzen. Schließlich hat ihn die Koalition in Bonn an diesem Tag gescholten, daß er im Bundestag nicht bei der Debatte um den Euro Rede und Antwort gestanden hat. Es sei ihm aber wichtiger gewesen, sagt Schröder, zu seinem Wort zu stehen und in Leipzig aufzutreten. Da klatschen alle. Schröder hat wieder mal gezeigt, daß er nicht zu diesen Bonnern gehört, sondern daß er sich lieber vor Ort um die Belange der Menschen kümmert, und daß auf ihn Verlaß ist.

Wolfgang Thierse, der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD aus Ostdeutschland, hatte Schröder geraten, speziell auf die Frauen einzugehen. Schließlich spiele die Emanzipation in Ostdeutschland eine besondere Rolle. Schröder weiß selbst, daß man ihm den Vorkämpfer für die Rechte der Frauen nicht so recht abnimmt, „obwohl das ungerecht ist“, wie er betont. Also will er es lieber lassen. Auf seine Art weiß er aber doch, bei den Frauen Punkte zu sammeln. Mit der ihm eigenen entwaffnenden Aufrichtigkeit berichtet er von seiner ersten Begegnung mit dem amtierenden Leipziger SPD- Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, der nun dem jüngeren Wolfgang Tiefensee Platz machen soll. Er habe gehört, Hinrich sei ein Bürokrat. „Dann habe ich nicht ihn zuerst kennengelernt, sondern seine Frau“, sagt Schröder unter allgemeinem Gelächter, „und habe gedacht: Wenn man mit so einer Frau verheiratet ist, ist man erstens kein Bürokrat und zweitens kein schlechter Mensch.“ An keiner Stelle seiner Rede erntet er größeren Applaus.

Obwohl da noch sein Bericht über den Besuch in der Nikolaikirche ist, in der ihm der Pfarrer Christian Führer „sensibel“ vom „berechtigten“ Stolz der Menschen in Leipzig erzählt habe. „Was hier passiert ist“, sagt Schröder, „hat unendlich viel damit zu tun, was in der Bibel steht, in der Bergpredigt. Daß man unheimlich viel erreichen kann mit Friedfertigkeit.“ Schröder-Kenner reiben sich die Augen. Sieh mal einer an. Der Kanzlerkandidat der SPD spricht auf einmal von der Bibel.

Doch ungeachtet dieser Finessen hat Schröder vor allem ein großes Plus. Er ist derjenige, dem man zutraut, alles für Arbeitsplätze zu tun. Der Kauf der Preussag durch die niedersächsische Landesregierung, den quängelige Besserwessis als ordnungspolitischen Sündenfall bezeichnen, rechnen sie ihm groß an. Und hat er nicht auch schon bei VW gezeigt, wie man Arbeitsplätze rettet? „Das mit der Preussag war richtig toll“, sagt eine Dame am Rande der Veranstaltung in Leipzig und ihre beiden Begleiterinnen nicken. In Bitterfeld erzählt ein Mann, ein solches Verhalten wie von Schröder hätte man sich von Reinhard Höppner 1994 auch gewünscht, als es um die Zukunft des Schwermetallkombinats Ernst Thälmann (Sket) ging. Heute ist das Sket nicht mehr.

In Ostdeutschland, sagt der Landesgeschäftsführer der sachsen-anhaltinischen SPD, Lothar Tautz, gelte Schröder als ein „zuverlässiger Macher“. Die Kritik im Westen, Schröder sei wankelmütig und opportunistisch, laufe hier ins Leere. Schließlich werde Schröder in Ostdeutschland erst seit kurzem richtig wahrgenommen.

Als unzuverlässig gilt eher Bundeskanzler Kohl. Dem verzeihe man nicht, daß er seine Versprechungen nicht eingehalten habe. An sich sei es daher egal, meint Regierungssprecher Hans-Jürgen Fink, ob Schröder oder Lafontaine Kanzlerkandidat der SPD sei. Hauptsache, Kohl kommt weg. In Bernburg, so berichtet die Leipziger Volkszeitung, habe Kohl gleich mehrere Böcke geschossen. Er erwähnte die „Südharzautobahn“, die zwar in Eisleben, aber nicht in Bernburg eine Rolle spielt, sprach den Ort Schkopau falsch aus und brachte den Satz: „Sie wissen doch noch, wie das war, wenn Sie zu DDR-Zeiten mit Freunden in Bonn telefonieren wollten.“ Solche Fehlleistungen können dem aufmerksamen Schröder nicht passieren. Lieber gibt er mit burschikoser Offenheit zu, gar nichts zu sagen, statt ins Fettnäpfchen zu treten. Zur immer wieder gestellten Frage nach Koalitionsmöglichkeiten der SPD nach der Sachsen-Anhalt-Wahl sagt er schmunzelnd: „Sie würden mich doch für einen Trottel halten, wenn ich zu einer Koalition mit der PDS etwas sagen würde.“ Da lachen alle und lassen das Fragen sein.