Er läuft, läuft und läuft – nun als Marathonmann

Vom Straßenkämpfer zum Straßenläufer: Wenn Joschka Fischer etwas tut, dann aber auch richtig, richtig übertrieben  ■ Von Wolfgang Kraushaar

Kürzlich verriet er in einem RTL-Interview mit dem ihm eigenen Unterton, einer Mischung aus Stolz und einer Rest-Ressource Provokation, er sei schon immer ein „Extremist“ gewesen. Für den Umgang mit seinem Körper trifft das unzweifelhaft zu. Das, was er sich bei seiner Abmagerungskur zugemutet hat, scheint er sich nun auch für den Marathonsport aufbürden zu wollen: seine Grenzen erneut auszuprobieren. Er ist in gewisser Weise heute schon ein Reinhold Messner unter den Berufspolitikern. Auch wenn sich die Öffentlichkeit über sein verändertes Aussehen wundert, so wird er nicht müde zu beteuern, daß er „ganz gesund“ sei und es ihm besser als je zuvor gehe. Sich von 108 auf 73 Kilogramm herunterzuhungern, das hat, auch wenn er nicht zu einem Gandhi der Grünen geworden ist, unzweifelhaft seine Spuren hinterlassen – im Gesicht vor allem.

Der Mann ist Existentialist auf der ganzen Linie – selbst der für sich genommen eher langweiligen Karriere als Parteipolitiker gewinnt er einen Rest an Abenteuer ab. Er unterliegt dem fortwährenden Zwang, seine Grenzen ausprobieren zu müssen. Wenn er etwas tut, dann aber richtig, richtig übertrieben. Früher war er eine Mischung aus Hans-Jürgen Krahl und Bommi Baumann, heute ist er eher eine aus Herbert Wehner und Franz Josef Strauß.

Seine Ausgangssituation war das, was Georg Lukacs einmal als „transzendentale Heimatlosigkeit“ bezeichnet hat. Biographische Stationen waren Fluchtpunkte und immer wieder die Herbeiführung von Entscheidungen besonderer Tragweite. Als er 1985 von Holger Börner als erster Grüner zum Minister vereidigt wurde, trug er Schuhe der Marke Nike für 149,90 Mark. Die Runde machte die Rede vom „Turnschuhminister“. Dies wurde jedoch nur als Symbol für seinen alternativen Habitus genommen, nicht aber als Fingerzeig für eine politische Fortentwicklung ganz eigener Art. Ein Fehler, wie sich heute zeigt.

Wer ihm noch vor einem Jahr beim Kicken im Frankfurter Ostpark zugeschaut hat, der wäre nie auf die Idee gekommen, ihm einen Dauerlauf zuzutrauen. Kaum war er mit dem über seinen Embonpoint gespannten Trikot zehn Meter gelaufen, hockte er schon hechelnd am Spielfeldrand, um wieder Atem zu schöpfen. Durchaus verständlich wäre es gewesen, wenn er nun zum Joggen gefunden hätte, um seine überflüssigen Pfunde loszuwerden. Doch nein, es mußte für Fischer gleich der Vorstoß in eine Extremsportart sein.

Kein abendliches Austrudeln nach dem Streß in Bonn, sondern ein ganzes, eigens auf ihn abgestimmtes Trainingsprogramm. Schließlich hat sich noch kein anderer Politiker unter die Gilde der Marathoni gewagt. Und es dürfte nur wenige geben, die ihm hierzulande zu folgen bereit sein könnten. Helmut Kohl etwa müßte sich zur Voraussetzung einer weltrekordverdächtigen Abmagerungskur unterziehen, was für den pfälzischen Hedonisten wohl noch unwahrscheinlicher wäre als die Verhinderung des Euros. Wolfgang Schäuble könnte nur – schon der bloße Gedanke liefe Gefahr, als behindertenfeindlicher Witz wahrgenommen zu werden – als Rollstuhlfahrer beim Marathonlauf antreten. Und Gerhard Schröder kommt ohnehin nur als Autofahrer in Frage, schon der Automobilindustrie zuliebe. Auf irgend etwas muß ein Politiker beim Vorstoß in die gesellschaftliche Mitte schließlich bauen können, und sei es nur die eigene Person als Werbeträger.

Wenn Fischer in acht Tagen beim Hanse-Marathon startet, werde ich zwischen Kilometer 35 und 40 irgendwo am Harvestehuder Weg nahe der Außenalster stehen und mir ein Bild machen. Denn dann kommt unweigerlich die Stunde der Wahrheit. Wie bei fast jedem anderen Marathonläufer auch, beginnt sich der Körper spätestens in dieser Rennphase massiv gegen die ihm auferlegten Strapazen zu wehren. Dann beginnt das Leiden, das Hinundherschwanken zwischen Aufgabewunsch und Durchhaltewillen. Dann verschwimmen die Zuschauer am Straßenrand zu einer nur noch im Unterbewußtsein wahrgenommenen Girlande und die Anfeuerungsrufe wie der Nachhall eines Echos, das aus einer fernen Welt stammt.

Doch ich werde nicht einstimmen in den Schwall der Anfeuernden. Denn vielleicht ist es ratsamer, dem sich unentwegt Abrackernden zuzurufen, auf seinen Körper zu hören und eine derartige Herausforderung abzubrechen. Ein Ausnahmepolitiker, gerade 50 geworden, sollte nicht auf diesem Wege seine Talente gefährden. Ein Radikaler, der den Weg in die Parlamente gefunden hat, sollte lieber seine Chance wahren, die Tür zur Macht aufzustoßen, anstatt den Extremismus eines ehemaligen Straßenkämpfers nun als Marathonläufer fortzusetzen.