Chiles ewiger Machthaber Pinochet

Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet darf weiter dem chilenischen Senat angehören. Ein Antrag auf Amtsenthebung scheiterte im Abgeordnetenhaus – nicht zuletzt wegen Drucks der Militärs auf die Parlamentarier  ■ Von Klaus Meschkat

Berlin (taz) – Nach zehnstündiger Debatte im chilenischen Parlament ist am Donnerstag der Versuch gescheitert, den früheren Diktator Augusto Pinochet seines Amtes als Senator auf Lebenszeit zu entheben. Obwohl die Mitte- links-Regierung in der Abgeordnetenkammer (im Gegensatz zum Senat) über eine klare Mehrheit verfügt, lehnten 62 Abgeordnete die Amtsenthebung ab, bei einer Enthaltung unterstützten nur 52 Abgeordnete den Antrag.

Die von Tumulten begleitete Niederlage des Antrags gegen Pinochet geht auf das Abstimmungsverhalten einer Gruppe von 11 christdemokratischen Abgeordneten zurück, die mit den Parlamentariern der rechten Parteien stimmten. Der frühere christdemokratische Präsident Patricio Aylwin hatte sich öffentlich gegen die Anklage ausgesprochen, obwohl er zuvor zugegeben hatte, daß Pinochet während seiner Amtszeit Druck auf die demokratisch gewählten Organe ausgeübt hatte. Die Anklage konnte sich nur auf das Verhalten Pinochets nach 1990 beziehen, da alle vorigen Verbrechen der Militärdiktatur wegen einer Amnestie nicht zur Sprache gebracht werden durften.

Deshalb ging es in der Debatte vordergründig etwa um die Frage, ob Pinochet die verfassungsmäßige Ordnung verletzt habe, als er Anfang der 90er Jahre in der Hauptstadt Santiago die Truppen mobilisierte und die Öffentlichkeit einschüchterte, als sein Sohn wegen Wirtschaftsvergehen angeklagt werden sollte.

Im Vergleich zu den blutigen Verbrechen der Militärdiktatur mit Tausenden von Toten, Verschwundenen und Gefolterten scheint das Säbelrasseln des Militärs in der Anfangsperiode der wiedererlangten Demokratie relativ belanglos – und doch entsprach die damals plötzlich wiederaufflammende Angst den Schrecken der finstersten Periode der jüngeren Geschichte, die mit dem Namen Pinochet verbunden ist.

In den parlamentarischen Manövern kommt auch die ganze Zweideutigkeit der Christdemokratie zum Ausdruck, die im Bündnis mit den Sozialisten gegenwärtig die Geschicke Chiles bestimmt. Das Abstimmungsverhalten einiger Abgeordneter zugunsten des Ex-Diktators, zu dem der frühere Präsident Aylwin aufgefordert hatte und für das sich der derzeitige Präsident Eduardo Frei sofort bedankte, erinnert in fataler Weise an das Verhalten der Rechten in dieser Partei im Jahre 1973, als sie das Militär zum Eingreifen gegen die Regierung von Salvador Allende aufforderte.

Der ganze Vorgang ist sicher symptomatisch dafür, daß in Chile eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit immer noch aussteht – und daß das Land in dieser Hinsicht nach wie vor tief gespalten ist. Eine Bedingung für die Rückkehr zur Demokratie war es ja gerade, daß die Verbrechen der Vergangenheit ungesühnt blieben, daß das Militär und der oberste Kriminelle Pinochet für tausendfache Mordtaten nicht zur Verantwortung gezogen wurden.

Die Fortführung der unter Pinochet eingeleiteten neoliberalen Wirtschaftspolitik, die von den regierenden Sozialisten und Christdemokraten gemeinsam getragen wird, mag sicher dazu beigetragen haben, seinem Schreckensregime nachträglich eine gewisse Legitimität zu verleihen: Immerhin hatte Pinochet das Verdienst, durch die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen die Verwertungsbedingungen für das in Chile operierende Kapital entscheidend zu verbessern und so die Grundlage für den Aufschwung zu legen, der auch unter der Demokratie fortgesetzt werden konnte.

Es soll regierungsnahe Politiker geben, die im Grund ihres Herzens Pinochet dankbar dafür sind, daß er für ihr Ziel einer Verbesserung des „Standorts Chile“ schon die schmutzige Arbeit getan hat. Sie dürften die Entlastung Pinochets durch das chilenische Parlament mit klammheimlicher Freude aufgenommen haben.

Pikante Einzelheiten der jüngsten Auseinandersetzung zeigen, wie groß der direkte Einfluß des Militärs auf das politische Geschehen in Chile immer noch ist. Selbst Parlamentarier des liberalen Flügels der rechten Oppositionspartei RN beklagten sich, daß ausgerechnet Pinochet zugunsten einer geheimen Abstimmung über seine Absetzung interveniert habe: vom Abstimmungsverfahren schien es nämlich abzuhängen, ob der Ex- Diktator bis zum Ende seines Lebens dem Senat Chiles angehören darf – die Christdemokraten nämlich, so schien es zunächst, würden es bei einer offenen Abstimmung kaum wagen, für ihn zu stimmen.

Klaus Meschkat war beim Putsch im September 1973 als Professor für Soziologie an der Universität Concepción in Chile. Er ist heute Hochschullehrer in Hannover