■ Der CSU-Politiker Peter Gauweiler hat in der taz behauptet, von dem einstigen Anspruch der 68er sei nichts mehr übrig. Fünf Antworten
: Warum keiner Bundeskanzler wurde

Sind die 68er nach dreißig Jahren Marsch durch die Institutionen an den Schalthebeln von Politik und Gesellschaft angekommen? Sind die 68er das neue Establishment?

Ihr „Anspruch von einst, radikal anders zu sein, auch in den Äußerlichkeiten, hat sich jedenfalls in gutbetuchte Koketterie aufgelöst“, behauptet Peter Gauweiler in der taz vom 9. April 1998. Wir nutzen die Gelegenheit, für einen Tag an den Schalthebeln der taz zu sitzen, um darüber zu grübeln, warum keiner von uns Bundeskanzler geworden ist.

Klaus Eschen gründete 1969 mit Christian Ströbele und Horst Mahler das sozialistische Anwaltsbüro. Seit 92 Richter am Verfassungsgerichtshof Berlin.

Mag sein, daß ein Teil der 68er „gut betucht“ ist. Mag sein, daß einige an Schalthebeln sitzen, die ihnen „Macht“ verleihen. Es ist aber nicht ohne Witz, wenn Repräsentanten der politisch Mächtigen (CSU) und des Establishments es anderen plötzlich als ehrenrührig ankreiden, dort zu sitzen. So ganz unrecht hat Gauweiler aber nicht. Die 68er haben die politische Landschaft verändert. Ihre Rezepte sind noch wirksam. Insofern haben sie auch – intellektuell – vielleicht nicht Macht, aber Einfluß.

Gauweilers Etikett ist ein Trick: Die Aggressionen der Öffentlichkeit lassen sich eher gegen vermeintlich Mächtige und Betuchte wenden, zumal solche Klischees von der Beschäftigung mit Inhalten freistellen. Politische Macht war den meisten von uns suspekt. Die Generation der Väter hat sie kompromittiert.

Friederike Hausmann war seit 1967 Mitglied im SDS. Im Anschluß an ihr Staatsexamen erhielt sie Berufsverbot. Sie ist Übersetzerin aus dem Italienischen.

Die 68er sind 1998 einfach dreißig Jahre älter, und sie sind natürlich nicht mehr Studenten oder am Anfang eines Berufsweges wie damals. Was würde Herr Gauweiler toben, wenn die 68er bloß einfach von „Staatsknete“ leben würden! Aber leider, so meine ich, haben die meisten 68er ein altes, leicht pubertäres Mißtrauen gegen jede Form von Macht behalten und sitzen, auch wenn es Ausnahmen geben mag, weder in den Zentralen der politischen noch in den Zentralen der medialen Macht. Gerade dort hat „uns“ längst die nächste Generation überholt.

Ein Blick in andere Länder, beispielsweise Italien, zeigt, daß das ganz anders sein kann. Aber er zeigt auch, daß es „die“ 68er längst nicht mehr gibt, ein gemeinsames politisches Lager existiert längst nicht mehr. Gauweiler baut einen Pappkameraden auf, um richtig drauflosballern zu können. Aber es ist – leider – nur ein Pappkamerad.

Dirk Müller war ab 1963 Mitglied im Argument-Club, ab 1965 war er dann auch Mitglied im SDS. Er ist zur Zeit arbeitsloser Historiker.

Keine Macht für niemand war das antiautoritäre Prinzip. Die, die Karriere gemacht haben, waren die Trittbrettfahrer und Demonstrationsgewinnler. 68er und 68er war und ist nicht das gleiche. Die wichtigen waren 62er, 63er. 1968 links zu werden war einfach. Selten hat eine Avantgarde sich etabliert oder ist mächtig geworden. Hätte sie es gewollt, wäre sie nicht Avantgarde geworden. Die Avantgarden, die was geworden sind, waren diktatorisch: nach innen, bevor sie an die Macht kamen, nach innen und außen danach. Leninismus, Stalinismus, Maoismus waren 69er-Konzepte. Die 68er waren freiheitlich, nicht machtpolitisch orientiert. Und wie man sieht, erfüllt die Etikettierung „68er“ den Straftatbestand der Erregung öffentlichen Irrtums.

Sibylle Plogstedt war ab 1965 im SDS. Von 1969 bis 1971 politische Haft in Prag. 1984 Gründerin der Frauenzeitung „Courage“. Sie ist freie Journalistin in Bonn.

Es hat niemand so recht bemerkt. Wir 68er sind so berühmt, weil sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) just im 68er Jahr aus der Verantwortung gestohlen hat. Sich aufgelöst hat – uns das auf dem Höhepunkt der Demonstrationen! Vermißte leben eben länger. Seither vermutet man uns SDSler überall. Selbst in Samt und Seide und kurz vor dem Einzug ins Bundeskanzleramt. Sollten etwa die Berufsverbote nichts genutzt haben? Sollten denn die an den Vietcong gespendeten Erbschaften sich trotz aller Schufterei in den alternativen Projekten – samt den Pleiten von einigen – auf wundersame Art vermehrt haben? Gauwei, gauwei! Gegen Paranoia der Verfolger hilft offenbar selbst Hinsehen nichts. Sonst hätte er doch auf die vielen TaxifahrerInnen aufmerksam werden müssen, die ihn so sicher und aufmerksam fuhren. War das auch eine Verkleidung unserer erfolgreichen Karrieren, für die wir Unterwanderstiefel in Gazellenleder wählten, oder?

Ekkehart Krippendorff: Jahrgang 1934. Politisch seit eh und je links, aber ohne Parteizugehörigkeit. Zur Zeit ist er Professor an der Freien Universität – Berlin.

Wenn es eine Haltung jener als 68er etikettierten Generation gibt, die allen oder doch den meisten gemeinsam war und auch noch ist, dann das Fehlen von selbtsicherer Arroganz – also von jener Haltung, die Gauweilers Beitrag in jeder Zeile atmet. Solche halbgebildete Unernsthaftigkeit, das Umsichwerfen mit Zitaten, klangvollen Fremdworten und unpassenden Schlagetotnamen (Horst Wessel), so spricht eine Klasse, die sich zum Regieren über andere prädestiniert weiß und für die jeder Anspruch auf demokratischen Personalwechsel, noch dazu von Leuten „von unten“, im Grunde eine ästhetische Beleidigung darstellt. Und da freut er sich natürlich über seine – nicht ganz falsche – Beobachtung, daß der karrieristisch erfolgreiche Teil berufspolitish engagierter Linker von damals sich mimetisch angepaßt hat an seinesgleichen.

Das ist sein klammheimlicher Triumph, und daß die taz ihm dazu auch noch die publizistische Plattform zur Verfügung stellt, ist eine weitere bittere – aber hoffentlich sich nicht wiederholende – Niederlage für uns. Ein Gauweiler ist weder ein „echter Feind“ noch ein „falscher Freund“, sondern überhaupt kein ernsthafter Gesprächspartner, so bedeutsam er sich geben und im politischen Geschäft dieser an ernsthaften Politikern armen Republik auch tatsächlich sein mag.