Nur der Sozialkasper?

■ taz-Serie Grenzgänger, Teil 4: Streetworker Lothar Knode über die Arbeit mit Ex-Nazis Von Anita Merkt

Ein Konzept gab's nicht, keine wissenschaftliche Literatur, keine Erfahrung: Jungen beim Ausstieg aus der rechtsextremen Szene zu helfen, war ein weißer Fleck auf der Sozialarbeit-Landschaft, als Lothar Knode vor viereinhalb Jahren eine Stelle als Streetworker annahm.

Und das ausgerechnet in Lohbrügge, der Schlafstadt in Hamburgs Südosten mit inzwischen bundesweiter Berühmtheit: Seit Anfang der 80er Jahre rekrutierten Neonazi-Organisationen wie die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) des verstorbenen Michael Kühnen, später die FAP und die Nationale Liste, in Lohbrügge gezielt neue Mitglieder. Brutale Überfälle auf AusländerInnen und Andersdenkende sowie Straßenschlachten mit Punks brachten den Stadtteil in die Schlagzeilen. Als 1985 Ramazan Avzi von organisierten Nazi-Skins ermordet wurde, war klar, daß Lohbrügge eine neue Jugendarbeit braucht.

Zuerst befürchtete Lothar Knode, „nur der Sozialkasper“ für rechte Jungs zu sein. Für die Behörden stand allerdings fest, daß Knode und seine Kollegen auf keinen Fall mit organisierten Nazis arbeiten sollten. Aus gutem Grund: „Einer meiner Vorgänger hatte sich in Lohbrügge sehr weit in die Naziszene vorgewagt. Das wurde schließlich für ihn so gefährlich, daß er sich ins Ausland absetzen mußte“, erzählt Knode.

Die organisierten Rechtsextremen bekamen Hausverbot. „Die Nazi-Skins hätten höchstens unsere Räume und Ressourcen genutzt, um sich zu treffen und hinter unserem Rücken ihre Aktionen zu planen.“ Damit war klar, daß sie nur mit Aussteigern oder sehr jungen Kids arbeiten würden. „Die zwölf- bis fünfzehnjährigen Jungs, die ich bisher betreut habe, waren in ihrem Weltbild noch nicht so gefestigt. In diesem Alter ist eine Einflußnahme noch möglich“, ist seine Erfahrung.

Trotzdem gibt es nicht selten ziemlich starken Tobak zu verkraften. Als die Jungs im Freizeitraum eine Reichskriegsflagge aufhängen wollten, legten die Sozialarbeiter Veto ein. „Wir haben ihnen gesagt, daß unter dieser Flagge Millionen von Menschen umgekommen sind, und daß wir uns damit nicht wohlfühlen würden. Solche persönlichen Begründungen können die Jungs viel eher annehmen als abstrakte Vorschriften.“ Als Kompromiß akzeptierten Knode und seine Kolleginnen, daß die Kids ein Bundeswehrplakat aufhängten.

Anfangs ging es vor allem darum, so viel wie möglich über die rechtsextreme Szene zu erfahren. Als er zum ersten Mal ihre Lieblingssongs hörte, in denen davon die Rede ist, „wie Türkenblut vom Messer spritzt, blieb mir die Spucke weg.“ Die Kids selber versuchten, Besuche in den Jugendräumen und politische Aktivitäten säuberlich voneinander zu trennen.

Lothar Knode will den Jungs Erfahrungen anbieten und auf Bedürfnisse eingehen, die bei den Schulungsabenden der Neonazis außen vor blieben. „Ein wichtiges Thema in diesem Alter sind natürlich immer Mädchen und die Sexualität“, sagt Knode. „Wir haben übers Flirten geredet und Liebesbriefe formuliert.“ Auch über das Tabuthema käuflicher Sex. „Eine Prostituierte kam auf unsere Einladung hin und hat von ihrem Leben und ihren Erfahrungen erzählt.“

Inzwischen aber bleiben auch politische Inhalte nicht mehr außen vor: „Ich habe ihnen zum Beispiel erklärt, daß ,Kanaken' Südseeinsulaner sind, die mit Türken überhaupt nichts zu tun haben. Danach gab es wohl auf dem ,Kameradschaftsabend– eine kleine Palastrevolution.“ Ein andermal kam eine alte Frau und erzählte, was sie im Krieg erlebt hat.

Im Winter 1992 ging der Sozialarbeiter mit seiner Jungengruppe ins Kino, um den Film „Stalingrad“ anzusehen. „Passenderweise war es in dem Winter eisig kalt, und sie haben vor der Kinokasse gezittert und gefroren. Danach konnte man ihnen ganz gut klarmachen, daß das ganze Gerede vom stolzen Heldentod bei 40 Grad minus ziemlicher Blödsinn ist.“ Wenn es darum geht, die Propaganda der Nazis mit Fakten zu widerlegen, kommt Knode sein historisches Wissen sehr zugute. In vielen Fällen konnte er seine Kids davon überzeugen, daß die Nazis Soldaten verantwortungslos verheizten und auch militärtaktisch völlig unsinnig agierten.

Entscheidender als die sachlich-intellektuelle Auseinandersetzung wurde für die Jungs, die schließlich aus der Nazi-Szene ausstiegen, das Gefühl, bei ihrem Sozialarbeiter „mehr zu bekommen“ als bei den Schulungsabenden oder beim „Überlebens-Training“ der Nazis.

Die Aussteiger hatten das Glück, bei Knode nicht vor verschlossenen Türen zu stehen. Eine der härtesten Erfahrungen war für ihn denn auch ein offizieller Gesprächstermin mit einigen „Jungvolkführern“, die auch ihre jüngere Anhängerschaft im Schlepptau hatten. „Da saßen dann diese 13- oder 14jährigen und durften kein Wort sagen. Das schlimmste war, daß ich genau wußte, daß ich für diese Kinder nichts tun kann, weil ich keine Chance habe, an sie heranzukommen.“

Teil 5.: „An der Schnittstelle von Licht und Dunkelheit“, wie der blinde Autor Siegfried Saerberg Blinde, Sehende und Kunst in Verbindung bringt, am Dienstag, 8. August