Analyse
: Ende des Felipismus

■ Die spanischen Sozialisten haben einen neuen Spitzenkandidaten

Zufriedene Gesichter bei den Gewerkschaften, den kommunistischen Erneuerern und selbstverständlich bei großen Teilen der Basis der spanischen Sozialisten. Ihr Wunschkandidat, Josep Borrell, hat die Urabstimmung der PSOE mit 55,1 Prozent gewonnen. Borrell, und nicht PSOE-Generalsekretär Joaquin Almunia, wird im Jahr 2000 gegen Regierungschef José Maria Aznar antreten. Nach langen Jahren der Korruptionsskandale und Desillusion ist bei weiten Teilen der parlamentarischen Linken plötzlich wieder Begeisterung für ein fortschrittliches Projekt zu spüren.

Viele hätten Borrell bereits letzten Herbst auf dem Parteitag der PSOE gerne als Nachfolger des überraschend ausgeschiedenen Felipe González gesehen. Doch die Regionalfürsten der Partei entschieden sich für Almunia, den treuergebenen González-Anhänger. Die von ihm versprochene Erneuerung der Partei fand nie statt. Oppositionspolitik gab es mit Almunia nicht. Er trat auf, als wäre seine Partei noch immer für Staat und Regierung verantwortlich. Eine gemeinsame Opposition mit anderen linken Kräften wurde nicht angestrebt. Das Unbehagen darüber hat sich jetzt entladen.

Rein rechnerisch hat die Linke Spaniens nie die Mehrheit im Lande verloren. Wären Sozialisten und Kommunisten gemeinsam angetreten, hätte Aznar 1996 das Nachsehen gehabt. Das Erbe von Felipe González – Korruption und schmutziger Krieg der Antiterroristischen Befreiungsgruppen (GAL) – ließ diese Rechnung unter Almunia zum bloßen Gedankenspiel verkommen. Mit Borrell ist eine linke Mehrheit wieder denkbar. Zwar gehörte auch er zur Regierung González, doch schloß er sich nie einer der politischen Familien in der Partei an. Deshalb sehen viele in Borrell einen spanischen Jospin. So ist es nicht verwunderlich, daß beim Vorstand der PSOE lange Gesichter vorherrschen. Von den 33 Mitgliedern haben bis auf die Vertreterin des linken Parteiflügels Sozialistische Linke – und Borrell selbst – alle für Almunia gestimmt. Die Urabstimmung wurde überhaupt nur angesetzt, um Almunia den entsprechenden moralischen Rückhalt bei der Basis zu verschaffen.

Wird die Partei Borrell jetzt unterstützen? Oder wird er von den Regionalfürsten verheizt? Grund genug hätten sie: Die Befürchtung, daß die durch Borrells Sieg ausgelöste Dynamik eine wirkliche Erneuerung der Partei nach sich ziehen könnte, ist alles andere als abwegig. „Der Felipismus ist am Ende“, mutmaßte Spaniens Presse gestern. Almunia hat seinen Rücktritt als Generalsekretär angeboten. Der Vorstand hat ihn gebeten, dies noch einmal zu überdenken. Niemand – auch nicht Borrell – will einen Sonderparteitag. Denn der könnte – jetzt, wo die Felipisten einen so schweren Schlag einstecken mußten – tiefe Gräben aufreißen, und das wäre der Sache alles andere als dienlich. Reiner Wandler