Een fiets is een kostbaar bezit"

■ Fahrradstationen sind das schützende Dach fürs wertvolle Rad - im Nachbarland Niederlande. Hierzulande jedoch setzen sie sich nur zögerlich durch. Lediglich in Nordrhein-Westfalen herrscht so etwas Ähnlich

Eine Zeitlang sah es so aus, als ob Deutschlands erste Fahrradstation der Abrißbirne zum Opfer fallen wird. Zur Einweihung im Jahre 1983 am Rande des Bremer Hauptbahnhofs war sie noch als Modellprojekt gefeiert worden. Der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) sah sie als Vorbild für Dutzende weitere, die überall in Deutschland entstehen sollten. Doch schon bald machten die Containerhäuschen im Blockhausstil einen heruntergekommenen Eindruck. Als vor kurzem mit der Umgestaltung des Bahnhofsplatzes begonnen wurde, schien ihr letztes Stündlein geschlagen zu haben. Der jetzige Pächter Harald Vogt hat sich jedoch behaupten können. Den Plänen, ihm irgendwann einmal eine größere, schönere Station aufzubauen, traut er nicht: „Da mach' ich mir keine großen Gedanken.“ Also hat er darauf bestanden, sein Dauerprovisorium ein paar hundert Meter zu verlegen. Der Umzug ist abgewickelt, am Bremer Bahnhof können weiterhin Fahrräder abgestellt und repariert, Leihräder gemietet und sogar Velos, Ersatzteile und Radwanderkarten gekauft werden. Allerdings: Trotz Vergrößerung ist die Station nach wie vor viel zu klein, zudem liegt sie jetzt versteckter als zuvor.

Für Niederländer wären das untragbare Zustände. In ihrem Land ist an jedem vierten Bahnhof eine Fahrradstation zu finden, unübersehbar und bequem zu erreichen. Die meisten bieten Hunderte von sicheren Abstellplätzen, etliche haben Tausende zur Verfügung. Alle sind wochentags von 5.30 Uhr bis nachts um eins geöffnet, lediglich am Samstag und Sonntag wird eine beziehungsweise zwei Stunden später aufgeschlossen. Dirigiert werden sie von der Servex, einer Tochtergesellschaft der niederländischen Eisenbahn. Sie verpachtet nur an ausgebildete Zweiradmechaniker, die in der Lage sind, das Standardprogramm anzubieten. Dazu gehört neben der Fahrradbewachung und dem Werkstattangebot noch die Vermietung von Rädern sowie der Handel mit Neu- und Gebrauchtfietsen – zumeist im großen Stil. Teile, Zubehör und anderer Radlerbedarf komplettieren das Rundum-Angebot.

Mit ihren Einrichtungen ist die Servex voll auf Linie der regierungsamtlichen Fahrradförderung. Vor knapp zehn Jahren setzte sich im Verkehrsministerium in Den Haag die Erkenntnis durch, daß auch den angeblich mit dem Rad verwachsenen Holländern mehr an Infrastruktur und Komfort geboten werden müsse. Als Ziele eines „Masterplan Fiets“ wurden formuliert, die tägliche Benutzung des Fahrrades so leicht wie irgend möglich zu machen, es etwa durch ein enges Netz von Fahrradstationen vor Diebstahl und Witterungsschäden zu bewahren. Die so entstandenen velophilen Service-Points in oder an den Bahnhöfen sollen im übrigen die Berufspendler auffordern, den Umweltverbund Bahn und Bike auszuprobieren und dann regelmäßig zu bevorzugen. Zur Zeit wird der Masterplan ausgewertet – die bereits bekanntgewordenen Zahlen sind beeindruckend.

So wird in den Niederlande ein Viertel aller Wege mit dem Rad bewältigt, dreimal soviel als hierzulande. Als besonders leuchtendes Beispiel wird gern Groningen zitiert. Dort liegt der Fahrradanteil bei 50 Prozent! Was sicherlich auch damit erklärt werden kann, daß es in der Friesenmetropole mit ihren 170.000 Einwohnern neben der Bahnhofs-Fahrradstation (mit 3.000 Stellplätzen) noch 17 andere gibt. Diese Anlagen werden von einer kommunalen Sozialeinrichtung unterhalten und sind überall da zu finden, wo Menschen in Massen auf ihren Fietsen vorfahren: unter einem Kino, der städtischen Bibliothek oder in unmittelbarer Nähe von Supermärkten. Überall werden die Räder von ein, zwei Leuten des Betreuungspersonals bewacht, auch Videokameras sind installiert. Einige „Nachtwachen“ sind fast rund um die Uhr besetzt. Tagsüber wird überall ein Reparaturservice angeboten. Einer der Werbesprüche der Groninger Stationen lautet: „Een fiets is een kostbaar bezit.“ Das Fahrrad, ein wertvoller Gegenstand.

Die deutsche Radverkehrsexpertin Ursula Lehner-Lierz organisiert häufig Exkursionen ins Velo-Paradies Holland. Zu ihrem Pflichtprogramm gehört selbstverständlich ein Besuch der Groninger Fahrradstationen. Nicht zuletzt diese meint sie, wenn sie sagt: „Immer, wenn ich nach Deutschland zurückkomme, habe ich das Gefühl, in ein Entwicklungsland zu kommen.“ Allerdings muß gesagt werden: Auch in Deutschland hat sich einiges bewegt. Die erste in Bremen ist nicht die einzige geblieben. Rund 15 Städte können mit einer Kombination aufwarten, die Parkhaus, Werkstatt und Fahrradladen zusammenbringt. Zu den großen zählen die Stationen in Lüneburg mit 1.000 Plätzen, Mannheim (850), Bielefeld (390), Göttingen (450) und die kürzlich in Hamm eröffnete (500). Weitere vorzeigbare Häuser sind in Planung oder stehen kurz vor ihrer Vollendung.

Besonders stark engagiert man sich in Nordrhein-Westfalen. Dort hat die rot-grüne Koalition das Landesprogramm „100 Fahrradstationen in NRW“ aufgelegt, und eine vom ADFC eingerichtete „Entwicklungsagentur für Fahrradstationen“ versucht, die Umsetzung voranzutreiben. Die vom Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport beauftragte Agentur berät Kommunen und mögliche Betreiber, zum Beispiel wie und wo öffentliche Zuschüsse beantragt werden können. Sie hat einen Musterbetreibervertrag entwickelt und will den Begriff „Radstation“ als Marke etablieren. So nennen dürften sich dann nur diejenigen Einrichtungen, die in der Lage sind, „die Kernfunktionen Bewachung, Service und Fahrradvermietung“ anzubieten. Immer angepaßt an die Bedingungen des jeweiligen Standortes, aber immer auf gleich hohem Qualitätsniveau. Dadurch soll erreicht werden, die Anlage „mittelfristig kostendeckend zu bewirtschaften“. Zwanzig derartig geplante Stationen sollen noch in diesem Jahr der im westfälischen Hamm folgen, achtzig weitere sind ins Auge gefaßt. Damit das radfahrende Volk sie nicht übersieht, hat die ADFC- Agentur an alles gedacht, sogar an die Eröffnungsfeier. „Durch eine werbewirksame Eröffnung erhöht sich die Identifikation der Bevölkerung mit der Einrichtung“, mahnen sie in ihren Handreichungen.

Womöglich haben die Betreiber der Göttinger Fahrradstation das nicht bedacht. Der Neubau am Bahnhof der niedersächsischen Universitätsstadt ist vor ein einem halben Jahr eröffnet worden, im Zuge der Aufmöbelung des Bahnhofsplatzes. Also eines Prozesses, der in vielen Städten ansteht – der in Bremen jedoch fast zur Beseitigung der Traditions-Fahrradstation geführt hätte.

Doch auch in Göttingen ist noch nicht das eingetreten, was sich die Stadtplaner erhofft hatten. Vor der Station parken nach wie vor Tausende von Fahrrädern, umsonst und draußen, unter ihrem schützenden Dach aber sind noch viele Plätze frei. Helmut Dachale