Der Sängerkrieg am Millerntor

■ Der FC St. Pauli gewinnt mit 1:0 gegen den VfB Leipzig, und im Stadion hört man Unerhörtes

Manchmal wundert man sich schon, auf welches Niveau Menschen sinken können. Sie stellen sich in ein Fußballstadion und singen inbrünstig, in Gruppe und voller Freude: „Ohne Puppe habt ihr keinen Sex.“Und das nur, weil die Fans der gegnerischen Mannschaft – gewiß auch keine sympathischen Gestalten, die da aus Leipzig angereist waren – mit einer Gummipuppe wedelten. Den Feind auf originelle und witzige Weise verächtlich zu machen und zu verspotten, dafür waren die Fans des FC St. Pauli einst berühmt. Davon ist nichts mehr übrig geblieben.

Zu Beginn der Rückrunde überraschte eine Gruppe von ungefähr 200 Schreihälsen die anderen Zuschauer im Stadion. Ein Teil der Gegentribüne wurde zur „Singing Area“erklärt, von wo aus der Heimverein lautstark unterstützt und das restliche Publikum aus seiner passiven Rolle des Nur-Zuschauers gelockt werden sollte. Doch erreichte man bei den sturen Nichtbrüllern nur das Gegenteil: Jetzt singt erst recht nur die „Singing Area“. Eine solche Institutionalisierung von Fan-Ritualen sind der Tod jeglicher Selbstironie. Und deren Mangel führt zu einer Verbissenheit, die in der Kombination mit der Stumpfheit der Sprechchöre bei vielen ein unangenehmes Gefühl weckt: Hier wird der Teufel mit dem Beelzebub vertrieben.

Sicher macht es keinen Spaß, im Stadion zu stehen und von faschistischen VfB-Leipzig-Fans angepöbelt zu werden: „Deutsche wehrt euch, geht nicht zu St. Pauli“oder „Wir bauen eine U-Bahn von St. Pauli bis nach Auschwitz“gehören zum festen Gesangs-Repertoire aller rechtsradikaler Fangruppen. Aber auf solche Sprüche reagiert man entweder gar nicht oder unerwartet. „Ostdeutsche Scheiße“ist einfallslos. Ebenso wie „Keine Arbeit, keine Frauen: VfB“. Diesem Spruch kann man gleich in mehrfacher Hinsicht Dummheit unterstellen. Zum einen ist er frauenfeindlich, und das bei Anhängern, die von sich selbst behaupten, politisch korrekt zu sein. Zum zweiten spielt er mit einer Not, die die Leipziger weder verschuldet haben noch nur die Faschos trifft. Zum dritten spiegelt er den innerdeutschen Rassismus wider, und das bei Fans, die jeden schwarzen Spieler schon allein um seiner Hautfarbe willen lieben. Und zuletzt übernehmen die Sänger dadurch auch noch die Argumentation der Bundesregierung, Arbeitslosigkeit und Frustration trieben Ostdeutschland in den Rechtsextremismus.

Am schlimmsten aber die Begeisterung für die Polizei. Kaum entsteht eine kleine Randale im Block der Leipziger, schon stellt sich der Bundesgrenzschutz in Positur, den Schlagstock schwungbereit in der Rechten. Und was singen diejenigen, die empört sind wenn, eine linke Demo gewaltsam aufgelöst wird, denen alles Grüne – egal ob Werder Bremen oder Bullen – zuwider ist? „Come on you boys in green.“Seid ihr eigentlich noch zu retten? Eberhard Spohd