Gegenwind für einen Hoffnungsträger

Kaum ist der Gewerkschafter Walter Riester als Arbeitsminister für eine Schröder-Regierung nominiert, gibt es Unruhe in der SPD. Oskar Lafontaine entschuldigt sich für Fehler bei der Bekanntgabe der Entscheidung  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die Personalentscheidung Walter Riester war eine Sache von Sekunden. „Bist du einverstanden, wenn ich Riester als Arbeitsminister ins Kabinett berufe?“, fragte sinngemäß SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder den SPD-Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine. Und der antwortete: „Ja.“ Damit, so erzählt Lafontaine, sei das Thema in nicht einmal fünf Sekunden erledigt gewesen.

Vielleicht war das doch ein bißchen zu schnell. Nachdem der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Walter Riester am Montag im Spiegel erste vage Überlegungen zur Rentenpolitik einer SPD- geführten Bundesregierung geäußert hat, knirscht es zum ersten Mal seit langem wieder im ansonsten so perfekt geschmierten Wahlsiegunternehmen SPD. Einige fühlen sich von Schröder übergangen, andere sehen Riester nicht auf SPD-Linie. Zwar sind es neuerdings nur Hinterbänkler, die ihren Unmut in die Medien tragen, diesmal Hans Urbaniak und Karl- Hermann Haack, aber sie repräsentieren durchaus eine größere Anzahl von Abgeordneten.

Da ist zum einen der verdiente Sozialexperte Rudolf Dreßler, der sich selbst Chancen auf einen Ministerposten ausgerechnet hatte. Über ihn, der sich dazu nicht äußern will, heißt es, er sei loyal, aber „nicht gerade begeistert“. Da sind zum anderen diejenigen, die nun fürchten, auch übergangen zu werden. Und noch andere sind es einfach leid, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Der Zorn ist noch nicht darüber verraucht, daß die Fraktionsmitglieder den Entwurf zum SPD-Regierungsprogramm vor Wochen zuerst in den Medien lesen konnten.

Doch diesmal hat die SPD- Spitze ihre Fehler eingesehen. Lafontaine entschuldigte sich am Dienstag vor der Bundestagsfraktion dafür, daß die Fraktion und insbesondere Rudolf Dreßler die Berufung Riesters über die Medien erfahren mußten. Das ungewöhnliche Verhalten des nicht gerade zu Entschuldigungen neigenden Parteivorsitzenden zeigt aber noch etwas anderes: Die SPD ist sich zur Zeit für nichts zu schade, wenn es darum geht, Geschlossenheit zu bewahren. Nichts darf den Wahlsieg gefährden.

Um weiteren Frust zu vermeiden, soll anderen potentiellen, aber unerwünschten Ministerkandidaten rechtzeitig klargemacht werden, daß sie zwar für den Posten geeignet seien, aber daß man leider, leider jemand anderes im Auge habe. Zudem hat die SPD eingesehen, daß es besser gewesen wäre, Riester im Paket mit den anderen Schattenministern vorzustellen. Eine Einzelpräsentation wird es nicht mehr geben. Wie aus der Partei zu hören ist, wird Riester sehr wahrscheinlich auch der erste und letzte Seiteneinsteiger im Schröder-Kabinett bleiben.

Beinahe wäre der Unmut über die Riester-Entscheidung unter der Decke geblieben. Aber dann dieses Interview. Riester hatte von der Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente gesprochen und damit den Eindruck einer Kursänderung in der Rentenpolitik erweckt. Fraktionschef Rudolf Scharping und Riester beteuerten zwar später, es handele sich um ein Mißverständnis, statt einer Grundrente sei die im Wahlprogramm der SPD enthaltene soziale Grundsicherung gemeint gewesen, aber Irritationen bleiben. Schließlich hatte Riester angedeutet, die „Grundrente“ könne über eine Steuererhöhung finanziert werden. Auf diesen Punkt angesprochen, antwortete Scharping bedeutungsvoll: „Es ist allgemein bekannt, daß die SPD für Steuersenkungen eintritt.“

Auch die Anregung Riesters, daß Vermögende kein Kindergeld bekommen sollen, sorgte für Kopfschütteln. Die Experten in der Fraktion wissen, daß Karlsruhe nicht mitspielen würde. Schließlich geht es beim Kindergeld nicht um die Bedürftigkeit der Eltern, sondern um die Förderung des Kinderkriegens. Tröstend urteilt ein Genosse: Es ist fast zwangsläufig, daß jemandem, der nicht aus der Politik kommt, im rauhen Bonner Wind Fehler passieren. Und eine Genossin findet, Riester habe eben erfahren müssen, daß in der Bundespolitik jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werde.

Ungeachtet des etwas mißglückten Einstands Riesters bezweifelt kaum einer, daß mit dem Gewerkschafter eine gute Wahl getroffen wurde. Lobend heißt es über ihn: Man traue ihm zu, das Bündnis für Arbeit hinzukriegen. Er genieße selbst im Arbeitgeberlager Vertrauen. Und er sei flexibel und bereit, neue Ideen auszuprobieren. Von solchem Kaliber wünscht sich die SPD noch mehr. Wie sagt doch die Sprecherin von Oskar Lafontaine? „Am besten wäre, mit fünf Namen aufzutreten, wo es schnackelt im Gehirn.“