Gummischlauch im Gegenlicht

Brittens „Peter Grimes“ in der Staatsoper: Alles großartig und trotzdem kalt  ■ Von Stefan Siegert

Eine Windmaschine? Zu laut. Ein paar Wasserspritzer im Gegenlicht aus dem Gummischlauch? Zu naturalistisch. Seltsam. Alles gefiel auf den ersten Blick und schien bestens bei der Premiere von Benjamin Brittens gesellschaftskritischem See-Stück Peter Grimes am Sonntag abend, Sänger, Regie, Bühnenbild und – wieder einmal und wieder fast triumphal – die Musik und ihre Darbietung. Und dennoch. Etwas fehlte. Der Applaus vor der Pause klang eigentümlich lustlos. Das Geschehen auf der Bühne kam nicht an, erregte nicht. Weder Mitgefühl noch Parteinahme.

Brittens Oper um den Fischer Peter Grimes aus Aldebourgh an der Ostküste Englands aber ist angelegt auf Mitgefühl für den Außenseiter in einer Gemeinschaft, die nur in ihren Einzelwesen hier und da menschliche Züge trägt, in ihrer Ganzheit aber mörderisch intolerant ist. Und auf Parteinahme für einen Täter – Peter Grimes ist im Zuge des harten Tagwerks auf See schuldig geworden am Tod dreier seiner Fischerjungen –, der sich im Verlauf der Handlung auch als Opfer erweist. Opfer einer Gesellschaft, die gnadenlos, mit großer Härte und um den Preis individuellen Glücks auf Reichtum = Ansehen = Geborgenheit dringt. Was Grimes als Kind und Erwachsener erlitt, hat er detailliert weitergegeben an die ihm anbefohlenen Kinder. Er hat so nicht allein sie auf dem Gewissen. Auch sich selbst.

See und Sturm sind allgegenwärtig in diesem Stück. In ihnen prägen sich existentielle, nicht nur naturhafte, sondern auch soziale Bedrohung und Angst der Menschen aus. Grimes setzt ihnen allein seinen Trotz und seine Isolation entgegen; er schlägt die mütterlich anschmiegsame Liebe Ellen Orfords unter Hinweis aufs protestantische Leistungsethos aus und fällt diesem damit einmal mehr zum Opfer.

Im Orchester, von Ingo Metzmacher sorgfältig und impulsiv geleitet, waren die Meereselemente und mit ihnen die Spannung einer zwischen Sehnsucht und Gewalt schwankenden Handlung durchgängig wirksam. Brittens an Purcell, Wagner und Alban Berg geschulte und zu Eigenem gereifte Musik wirkte – vor allem in den köstlich-kostbaren Zwischenspielen – hochdramatisch, mehr kammermusikalisch als spätromantisch füllig und zugleich sensibel abgestimmt auf die Sänger, denen sie, wenn nötig, ganze schöne Arien und Duette lang den Vortritt ließ.

Aber Spannung oder gar Sturm außerhalb der Musik? Wohl erfüllte der Chor (Einstudierung: Jürgen Schulz), sang-lich wie choreographisch eine der Hauptrollen, seine Aufgabe faszinierend lebendig. Wohl war Neil Shicoff stimmlich wie darstellerisch ein wirklich anrührender Titelheld, Adrianne Pieczonka als dessen verhinderte Zukünftige beeindruckend mensch-lich, wohl wirkten Bühnenbild und Kostüme in sinistren Blau-, Grau- und Schwarztönen poetisch eintönig, und der geschickte Einsatz von grellem Seiten- und Gegenlicht durchweg ansehnlich. Nur Atmosphäre entstand unter der Regie von Sabine Hartmannheim nicht. Und das war's, was fehlte. Schade. Sie wäre so nötig gewesen in einer Oper, die dem Meer verschrieben ist, dem Sturm und mithin dem Leben.