Masterpläne mit heiligen Leerstellen

■ Die Stuttgarter ifa-Galerie zeigt Entwürfe des indischen Architekten Charles Correa

„Architektur entsteht nicht im Vakuum. Sie ist zwingender Ausdruck dessen, an was wir – implizit oder explizit – glauben und was im Mittelpunkt unseres Lebens steht.“ Der indische Architekt und Stadtplaner Charles Correa hat aus dieser Erkenntnis eine Maxime für seine Arbeit gemacht: Er lehrt zwar an Universitäten in Asien, den USA und Europa, baut aber fast ausschließlich in Indien.

Entscheidend für den an westlichen Hochschulen ausgebildeten Architekten, dessen Arbeit derzeit im Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) dokumentiert wird, war die Begegnung mit Le Corbusiers Bauten in der neuen Stadt Chandigarh. Die Häuser galten als unmißverständliches Zeichen des jungen unabhängigen Staates für die Abkehr vom aufgepfropften englischen Kolonialstil. Correa erkannte für sich die Möglichkeit, mit den Prinzipien der Bauhausarchitektur die Fremdherrschaft verschütteter indischer Bautradition wiederzubeleben.

Die besondere Qualität der nach Correas Plänen 1986 fertiggestellten Wohnsiedlung Belapur am Stadtrand von New Bombay liegt in der raum- und energiesparenden Verzahnung der privaten und gemeinschaftlich genutzten Wohnbereiche. Jeweils sieben ein- bis zweistöckige Häuser verschiedener Grundstücksgröße und Gestalt gruppieren sich um einen offenen Innenhof. Die Durchlöcherung der traditionellen Schranken zwischen den standesfixierten Bevölkerungsschichten und die Flexibilität der Architektur für eigenständige bauliche Veränderungen waren bei diesem Projekt wichtige planerische Ziele. Später wurden sie jedoch durch Bodenspekulanten und eine zögerliche Landesregierung torpediert.

Bei der Planung der Stadt New Bagalkot für die wegen eines riesigen Wasserbauprojektes umgesiedelten Bewohner der alten Stadt und die Neuansiedlung von Landflüchtigen konnte Correa seinen Masterplan durchsetzen. Die Gesamtanlage mit nahezu quadratischem Grundriß orientiert sich an der heiligen Stadt Srirangam mit dem „Kund“, dem Symbol der Leere, im Zentrum. Die einzelnen Stadtteile sollen sich ohne vorgegebenen Plan organisch entwickeln.

Schlicht und elegant wirkt auch Correas Appartementhaus für betuchte Inder in der City von Bombay. Dabei kommt die Disziplin der baulichen Gestaltung dem extremen Klima entgegen. Der Wohnturm besitzt geschlossene Fassaden und durchbrochene Kanten. Alle Öffnungen – Terrassen und Veranden – sind scharflinig aus dem Baukörper herausgeschnitten, sie dienen mit ihrer abgestuften offenen Struktur der Verknüpfung von außen und innen.

„Architektur als Modell des Kosmos“, der Titel der Ausstellung, wird als Anspruch vor allem Correas Entwürfen für öffentliche Gebäude gerecht. Das dem Andenken Nehrus gewidmete Kulturzentrum Jawahar Kala Kendra in Jaipur ist wohl am stärksten der Neuinterpretation eines alten Mythos verpflichtet. Die in rötlichem Sandstein errichteten Gebäude erheben sich (wie die vom Maharaja Jai Singh im frühen 18. Jahrhundert erbaute „rosafarbene Stadt“ Jaipur) über einem quadratischen Grundriß in Form des Mandalas der neun Planeten. Correa vertraut bei diesem Entwurf darauf, mit architektonischen Hinweisen auf die vedische Kosmologie – dazu Kunsthandwerk und ein Kuppelgemälde im Mars-Quadrat – den Menschen neue Kraft in einer kulturell verarmten Welt zu geben. Eine funktionale, mit Formgegensätzen und Farben sparsam operierende Architektur, eher modern als postmodern. Gabriele Hoffmann

„Charles Correa – Architektur als Modell des Kosmos“, bis 24.5., ifa- Galerie, Stuttgart. Der Katalog kostet 20 DM.