Land der Gefühle

■ Ein Abend vom Besten: die Deutsche Kammerphilharmonie in der Musikhalle

Mit so etwas darf man den Hamburgern nicht kommen: Strawinsky, Schönberg und dann erst Beethoven, und auch nur die Zweite! Sowas bestrafen die Hamburger mit Abwesenheit nicht unter 20 Parkettreihen. Aber die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen versucht es trotzdem immer wieder. Mit Musik, die die Hamburger noch nicht kennen, die aber zu vergleichen lohnt mit Musik, die sie kennen, dargeboten in einer Art und Weise freilich, die das, was sie kennen, klingen läßt, als kennten sie es nicht. Das ist zuviel, sagen die Hamburger. Und bleiben weg.

Wer trotzdem gekommen war zum Konzert der Bremer am Dienstag in der Musikhalle, durfte sich mit Recht für jemanden halten, der weiß, was wirklich gut ist. Strawinskys Danses Concertantes für Kammerorchester waren gut zwar erst einmal nur im Hinblick auf den musikideologischen Kontrast zu Schönberg, fürs heutige Ohr aber allzu vernutzt durch 50 Jahre Film- und Gebrauchsmusik. Der „fortschrittliche“ (Adorno) Antipode Schönberg freilich, das war eine Pointe des Programms, kam gerade dadurch sehr gut, daß seine Kammersinfonie Nr. 2 op. 38 wunderbar altmodisch klang, wunderbar spätestromantisch und „modern“ auf jene Weise, die aus heutiger Perspektive allemal nur mit Rührung und dem langen Blick zurück ins verschwundene Land der Gefühle genießbar wäre. Dirigent Jucka-Pekka Saraste (Finnland) hatte das Orchester entsprechend eingestellt: auf exaltierteste Distanz.

Hätte er Beethovens Zweite Sinfonie D-Dur op. 36 einen Deut weniger schnell genommen – der zweite Teil des Konzerts wäre weggerutscht. So aber, mit enormem Allegro con brio und molto, erschien der Klassiker als legitimer Vorläufer späterer Avantgarde, wobei Saraste sich bei allem Tempo noch Zeit ließ für fahles Licht in gewissen Vorhalten des Larghetto oder für Haydnschen Witz und Beethovensche Größe im Finale. Ein Abend vom Besten. Die Hamburger mal nicht mitgerechnet.

Stefan Siegert