Giftiges Blausäuresalz im Gebirgssee

■ Nach Lkw-Unfall verseucht Natriumzyanid die kirgisische Touristenattraktion Issyk Kul. Regierung: Kein Anlaß zur Sorge

Almaty (taz) – Kirgistans Umweltminister Kulibek Bokonbajew dürften dieser Tage Bauchschmerzen plagen. Demonstrativ hatte er Anfang der Woche Wasser aus dem Gebirgssee Issyk Kul getrunken. Am Mittwoch wurde bekannt, daß 70 Kirgisen, die ebenfalls mit dem Wasser in Berührung gekommen waren, mit akuten Vergiftungserscheinungen in Krankenhäuser eingeliefert werden mußten. Mindestens 240 weitere Fälle wurden registriert.

In der vergangenen Woche war ein Lkw mit Natriumzyanid – ein giftiger Abkömmling der Blausäure – in einen Zufluß des Sees gestürzt. Eilig hatte die Regierung beteuert, es gebe keinen Anlaß zur Sorge. Einziges Opfer des Unfalls sei der Lkw-Fahrer, der sich einen Arm gebrochen habe. Doch dann tauchten erste Gerüchte über Gift im Issyk Kul auf.

Der Lkw-Fahrer war im Auftrag des Goldgräberunternehmens Kumtor Operating Company (KOC) unterwegs gewesen, einem Joint-venture, das zu zwei Dritteln dem Staat Kirgistan und zu einem Drittel der kanadischen Cameco gehört. Das Natriumzyanid wird zur Trennung des Goldes vom Gestein benutzt. Auch in anderen Weltgegenden verseuchen die Rückstände dieses Schnellverfahrens die Umwelt. In Kirgistan transportieren Lkws es über die engen Gebirgsstraßen entlang des 1.600 Meter hoch gelegenen Issyk Kul. Das über 170 Kilometer lange und 70 Kilometer breite Gewässer bildet eine der Haupteinnahmequellen der rohstoffarmen Republik. Weil es salzhaltig und durch vulkanische Hitze immer leicht warm ist, friert es auch im Winter nicht ein. Zu Sowjetzeiten ließen sich hier KP-Funktionäre in Sanatorien fitmachen. Heute ist das Gewässer eine Touristenattraktion.

Nach Angaben der KOC sollen maximal 1,762 Tonnen Gift in das Seewasser gelangt sein. Umweltschützer halten das für stark untertrieben. Die Regierung befürchtet einen Rückgang der Besucherzahlen und will die KOC auf Schadenersatz verklagen. Rußland hat alle Projekte am See gestoppt.

Augenzeugen berichten von toten Fischen in der Nähe des Unfallortes. Auch Rinder, die dort Wasser getrunken hätten, seien verendet. Nur Umweltminister Bokonbajew beteuert: „Der See lebt, und die Situation ist normal.“ Thomas Dreger