Falschgeld wichtiger als Frauen

■ Der Frauenhandel boomt – aber in Europa unternehmen Politik und Polizei nicht besonders viel dagegen. Eine Anhörung im Bundestag

Bonn (taz) – Frauenhandel wird in Deutschland und in vielen Ländern Europas nicht ernst genommen. Zu diesem Schluß kamen die zwölf Sachverständigen am Mittwoch während der öffentlichen Anhörung vor dem Familienausschuß des Bundestags zum Thema. „Unsere Regierungen haben mehr Erfolg dabei, den Import geschützter Tiere und Pflanzen einzudämmen als den Frauenhandel“, erklärte Marijke van Hemeldonck, Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments. Wer mit Frauen handele, der schmuggele auch Autos und Drogen. „Es ist erniedrigend, daß für die Verfolgung der sexuellen Ausbeutung von Frauen offenbar andere Kriterien gelten“, stellte die Juraprofessorin aus den Niederlanden fest. Sie empfahl den weiblichen Abgeordneten, sich für die Verabschiedung einer Europäischen Konvention über Menschenhandel stark zu machen und auf eine einheitliche europäische Gesetzgebung zum Thema Menschenhandel zu drängen. Männliche Ausschußmitglieder nahmen an der Anhörung nicht teil.

Nach EU-Angaben wirft der Handel mit Zwangsprostituierten jährlich sieben Milliarden Dollar ab, mehr als der internationale Drogenhandel. Schätzungsweise eine halbe Million Frauen werden jährlich in die Länder der Europäischen Union geschleust. Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) hat der Menschenhandel in den 90er Jahren in Deutschland dramatisch zugenommen. Wurden 1991 noch 143 Fälle registriert, lag die Anzahl 1996 bereits bei 1.094 Fällen. Für das vergangene Jahr wird mit ähnlichen Zahlen gerechnet. BKA-Sachverständiger Johann Kubiça, räumte den geringen Stellenwert des Thema Menschenhandels indirekt ein: „Wir haben Spezialdienststellen für illegalen Waffenhandel, Rauschgiftdelikte und Falschgeldverbreitung“, so Kubiça, doch eine Sonderermittlung für Menschenhandel sei nicht vorgesehen.

Auch Oberstaatsanwalt Egbert Bülles von der Staatsanwaltschaft Köln gab sich enttäuscht: „Es gibt keine speziellen Zuständigkeiten, weder bei der Polizei, noch bei der Staatsanwaltschaft, noch bei den Richtern, das kann ich nur bedauern“, rechtfertigte er die Überforderung der Justiz. Die Zuständigkeit für Menschenhandel läge beim „Wald- und Wiesenkommissariat für Sittenwidrigkeit“. Unerfahrene Richter würden sich von auf Menschenhandel spezialisierten Strafverteidigern auf ein geringes Strafmaß herunterhandeln lassen. Gülles: „Wir müssen den Tätern das Geld wegnehmen, und zwar auch den Leuten, die ihre 15-Quadratmeter-Apartments für 3.000 Mark im Monat an die Mädchen vermieten.“

Lea Ackermann von der Hilfsorganisation „Sowoldi“ monierte den Mangel an geeigneten Zeuginnenschutzprogrammen. „Es gibt nur ganz wenige Frauen, die aussagen wollen. Wieso passen die in kein Programm?“ Daß im BKA bereits eine Unterarbeitsgruppe eingerichtet wurde, die sich mit einem speziellen Schutzprogramm für die Opfer von Frauenhandel beschäftigt, vermochte die katholische Ordensschwester nicht zu trösten. Sie äußerte den Verdacht, daß „der ganze Menschenhandel nicht ernst genommen wird“.

Die Forderungen der SPD-Abgeordneten Christel Hanewinckel und Irmingard Schewe-Gerigk (Bündnis 90/Die Grünen) nach einem vier- bis sechswöchigen Bleiberecht für alle Opfer von Frauenhandel wurde von der Mehrheit der Experten befürwortet. „Wir sind voll für befristeten Abschiebeschutz, wenn nötig sogar bis zur Hauptverhandlung“, so BKA-Vertreter Kubiça. SPD-Abgeordnete Hanewinckel räumte ein, daß ihr erst durch die Anhörung bewußt geworden sei, daß die Frauen zunächst als Täterinnen und nicht als potentielle Opfer von Menschenhandel behandelt würden. „Bei Polizeirazzien werden Prostituierte nur daraufhin überprüft, ob sie illegal hier arbeiten oder nicht“, bestätigt Staatsanwalt Bülles.

Ein generelles Bleiberecht unabhängig davon, ob die Frauen bereit sind, als Zeuginnen auszusagen, lehnten die meisten Sachverständigen ab. Auch wenn erwiesen sei, daß die meisten Frauen nach ihren traumatischen Erfahrungen nicht in Deutschland bleiben wollten, sei die Gefahr des Mißbrauchs groß. Europaparlamentarierin Hemeldonck warnte angesichts des Geschäfts vor „karitativer Blauäugigkeit“: „Es hat keinen Sinn, Frauen mit geringem Ausbildungsniveau durch Umschulungen in schlechtbezahlte Berufe zu locken“, stellte sie klar. Realistischer sei es darüber zu informieren, wie man Sexgeschäfte legal betreiben könne. Astrid Prange