Vorbild: Frauenhintern

Die Freiburger galerie blau vertritt eigenwillige Möbeldesigner. An Gebrauchsmobiliar erinnert wenig. Durch die dadaistischen Museumskataloge ackerte sich  ■ Kirsten Niemann

Der Name der Galerie ist quasi Programm: galerie blau. „L' Art c'est l'azur“ – das fand damals schon Victor Hugo. Blau ist mehrdeutig. „Denn Blau“, das meint zumindest auch der Galerist Ingo P. Flothen, „ist außerdem die Farbe für unbestimmte Ferne.“ Wer ins Blaue fahre, der wisse ja nie, was ihn erwartet. Manche mögen in der Farbe Blau ein Synonym für Trunkenheit sehen, andere denken dabei eher an Kreativität und Phantasie. Steht jedoch ein ahnungsloser Betrachter zum ersten Mal vor einem der vielen kuriosen Ausstellungsstücke in der Freiburger Galerie, fügt sich ihm ganz bestimmt sogar noch das Attribut „durchgeknallt“ hinzu.

Seit neun Jahren betreiben Klaus Böhler und Ingo P. Flothen die Galerie für Möbelunikate in Au bei Freiburg. Doch ausstellen und verkaufen allein war den Galeristen von Anfang an zu langweilig. Deshalb betreiben sie zusammen mit dem Künstler Tass in denselben Räumen auch das „büro für gestaltung, galerie blau“. „Interdisziplinäres Entwerfen im Spannungsfeld zwischen Architektur, Innenarchitektur und Kunst“ nennen die Betreiber das. Wohnungen und Privathäuser werden ebenso entworfen, wie Büro-, Laden- und Geschäftseinrichtungen. Doch ob beim Ausbau eines Dachgeschosses, eines Friseursalons oder der Präsentation ihrer vielen, künstlerisch motivierten Möbelbauer: Das Ergebnis zeugt von Humor und Frechheit zugleich.

„Der Hintern von Frauen inspiriert alle meine Möbel“, sagt zum Beispiel der Franzose Yves Pagart. Ein Künstler, der es vom Werbedesigner schließlich bis zum Möbelbildhauer brachte. Federleicht und filigran wirken seine Kreationen aus Stahlblech. Wie eine moderne Form von Jugendstil kommen die Objekte daher: Runde, fließende Formen bestimmen das Design seiner Möbel. Und obwohl der Künstler während seiner Skulpturarbeit tatsächlich die weiche Kontur des weiblichen Gesäßes vor seinem inneren Auge haben mag, erschließt sich dem unbescholtenen Betrachter überhaupt Organisches: Hohe Körper, getragen von geschwungenen Beinen. In allen Objekten verbergen sich Tiere: ein geschwungener Stuhl erinnert an einen trinkenden Flamingo, ein Schaukelstuhl mit hoher Lehne sieht aus wie eine Giraffe. Schränkchen und Schreine erinnern im geschlossenen Zustand an Ameisen und Spinnen. Ihr geheimes Innenleben – eine gut temperierte Flasche Rotwein und zwei Gläser – offenbart sich erst nach dem Öffnen. Exklusives Mobiliar für Leute mit Geld, Sinn für Kunst und Humor. In Serie werden Pagarts Möbel wohl nie hergestellt werden – es sind Einzelstücke. Eher findet man sie im Museum als im Möbelgeschäft.

Auch wenn der Schweizer Designer Yves Boucard seine bunt bemalten Holzentwürfe mit Hilfe einer Kettensäge umsetzt, bleibt nicht mehr viel von dem übrig, was den Betrachter an gängige Objekte wie Regal, Stuhl oder Schreibtisch erinnert. „Danseur Ecossais“ heißt das tanzende Bücherbord, das aussieht, als fange es an zu kippeln, wenn man einen Band herauszieht. In dem Schreibtisch „Lilly in Afrika“ hat manch ein Betrachter schon einen lachenden Saurier erkannt. Mit modernem, schlichtem Design haben seine Möbel nichts zu tun, vielmehr wirken sie wie zu Holz erstarrtes Zoogetier.

Der versponnenste aller Designer der galerie blau ist sicherlich der Franzose Rajdar Coll-Part. „Coll-Part ist ein Mistkerl – aber viel besser als Duchamp“, so lautet der Untitel einer Monographie, herausgegeben von der galerie blau. Die aus fertig aufgefundenen Teilen zusammengeschusterten Möbelstücke erinnern tatsächlich ein wenig an Duchamps Antikunst-Nonsens. Doch Coll-Parts Dada geht klar einen Schritt weiter. Er löst bekannte Dinge aus dem Zusammenhang und komponiert sie zu etwas Neuem.

So werden Kleiderberge und Einkaufstüten zu den Gestaltungsprinzipien einer Couch. Läßt der Bewohner eine Tüte auf dem Sofa liegen, so fügt sich auch diese harmonisch ins Gesamtbild. Das Bizarre eines Entwurfs wird zum Normalsten auf der Welt: Wen wundert es, daß die Arbeitsfläche des „Bürokratenschreibtischs“ eine auf Metallfedern gestützte Matratze darstellt? Oder daß das Sitzmobiliar für inkontinente Rentner – beispielsweise im Altersheim – aus zersägten Badewannen mit Abflußloch besteht? Der Sessel „Lourdes“ besteht gar aus den Krücken, die so manch ein Pilger in Erwartung eines Wunders von sich stieß.

Als wäre das alles nicht schon kurios genug, formuliert Coll-Part zu seinen Objekten die abstrusesten Geschichten. Wie einige seiner Möbelstücke entstanden sind? „Hasi! Ha-ha-ha-hasilein (überrascht leuchtet er fieberhaft alle Ecken des Raumes aus.) Antworte mir! Antworte gefälligst! ... Ich bin ich, Zuckertäubchen, hier bin ich. Ich bügele deine Sachen. Ich bin bald fertig. – Was, noch nicht fertig? Du könntest dich wirklich etwas beeilen. Streng dich gefälligst etwas an, ich geh' schon ins Bett. Und vergiß nicht, die Tür abzuschließen. – Keine Angst mein Rehlein. ich mach' noch fertig und schließ' dann ab – zweimal.“

„Der ist ein Komiker“, das meint auch Galerist Ingo P. Flothen. Runde Preise zum Beispiel, die mag der Künstler nicht: Fragt man ihn etwa, was das Kuschelsofa kosten soll, dann nennt er einen Betrag, der 11.696 Mark lauten könnte.

Trotz aller Verrücktheiten, die sich die Designer erlauben: die Möbel funktionieren.

galerie blau: (0761) 407898, Mo–Fr 14–18 Uhr, So 14–17 Uhr