Gott light

■ „Oh, Gott, Amerika!“ (21 Uhr, ARD) macht neugierig – aber mehr auch nicht

Der Filmtitel paßt, das muß man den Autoren schon lassen. Zum einen natürlich im Hinblick auf die über 96 Prozent der Amerikaner, die angeben, an einen Gott zu glauben – bei einem vielfältigen Angebot von über 1.600 praktizierten Religionen in den USA. Zum anderen, weil man beim Anschauen der Reportage gleich mehrfach in den angedeuteten Stoßseufzer einstimmen möchte: Vom popkonzertartigen Revival-Gottesdienst über beseelt-besessene Wanderprediger bis hin zum Supermarkt für religiöse Artikel (originalgetreu geflochtene Dornenkronen fürs Osterfest) kommt hier alles vor, was einen weniger spirituellen Mitteleuropäer befremdet. Nicht, daß die vier Washingtoner ARD-Korrespondenten Tom Buhrow, Georg Kellermann, Claus Kleber und Sabine Reifenberg, die für diesen NDR-Beitrag verantwortlich zeichnen, eine voreingenommene oder gar ketzerische Perspektive einnehmen würden. Im Gegenteil. In sachlich-informativem Ton schildern sie die Arbeit eines Seelsorgers, der als betriebseigener Kaplan einer Kartoffelchips-Fabrik in Texas arbeitet und sich dort Vertrauen erwirbt, indem er ganz konkrete Arbeitnehmerinteressen vertritt – was nämlich sonst keiner tut: Eine Gewerkschaft gibt es nicht. Auf einem ähnlichen Prinzip basiert der Erfolg des später vorgestellten Methodisten-Managers Kirbyjohn Caldwell. Der geschäftstüchtige Gründer eines „Power Centers“ bei Houston hat seine Kirche wie ein Wirtschaftsunternehmen aufgezogen, Leuten Jobs verschafft und sich um Obdachlose gekümmert – Aufgaben, die der Staat längst nicht mehr in ausreichendem Maß wahrnimmt. So präzise diese Beispiele zeigen, wie kirchliche Organisationen die Lücken im sozialen Netz der USA besetzen und sich dadurch Sympathien, Gefolgschaft und Spenden sichern, so vage bleibt freilich die Darstellung anderer Aspekte. Der christliche Fernsehkanal Christian Broadcasting Network (CBN) etwa wird als „eine der großen Stationen, die Gottes Wort in Amerikas Wohnstuben tragen“, eingeführt, ohne jede Erwähnung des wegen seiner rechtskonservativen Kreuzzüge berüchtigten Senderbosses und „Christian Coalition“- Gründers Pat Robertson. Wie stark religiöse Eiferer Einfluß auf die amerikanische Politik nehmen, läßt nur ein kurzes Porträt des fundamentalistischen Abgeordneten Bill Dunn und seiner Anti-Abtreibungs-Kampagne ahnen; und auch die bizarren Blüten, die die uneingeschränkte Religionsfreiheit in den Staaten zuweilen treibt, werden eher knapp thematisiert: anhand des kollektiven Selbstmordes, den im vergangenen Jahr 39 Anhänger des Hale-Bopp-Gurus Marshall Applewhite begingen. Das heiße Eisen Scientology indes kommt gar nicht vor.

Zwar versteht sich, daß eine 45minütige Sendung ein so weites Feld wie die Religiosität in den USA nicht erschöpfend behandeln kann. Aber die Autoren hätten durch prägnantere Kommentierungen und Einordnungen ihre Auswahlkriterien deutlicher machen können. Aneinandergereihte Passagen wie die über die Mormonen oder amerikanische Zen- Buddhisten wirken etwas willkürlich, ja provozieren förmlich die Frage, warum dann wohl andere bedeutende Religionsgemeinschaften, etwa die fast sechs Millionen Juden in den USA, nicht erwähnt wurden. So besitzt „Oh, Gott, Amerika!“ den Charakter eines journalistischen Appetithäppchens, das einen neugierig macht, aber nicht ganz befriedigt zurückläßt. Unmittelbare Abhilfe könnte da wohl eher zufällig als geplant das ZDF schaffen: Unter dem Titel „Religion light“ beleuchten die Mainzer heute abend (23.15 Uhr) das Verhältnis der Deutschen zur Religion. Peter Luley