Das Schlichte und das Pompöse

Mit Demut begonnen, dann nachgelegt: Irving Penns Fotografien in den Hamburger Deichtorhallen. Mit einem Schuß geliehenem Surrealismus debütierte Penn als Modefotograf. Später machte er ethnographische Reisen durch Welten in einem kleinen Raum  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Das Atelier eines Fotografen von über achtzig Jahren, dessen Erfolg beträchtlich ist, muß man sich wie eine kleine Fabrik vorstellen. Sie stellt immer etwas her und muß sich ihre Märkte sichern. In New York nennt man diese Fabriken „Studios“, und Irving Penn – der Mann mit dem Puritanernamen – betreibt so eines. Da werden Modeproduktionen gefahren, Bildrechte verkauft, Interviews abgesagt, Bündel von Bildern geschnürt und an Museen verschenkt und Deals mit Händlern gemacht; Leuten, die die Fotografien verkaufen können, zwischen vier- und sechzigtausend Mark.

Wer auf dieser Ebene agiert, dem ist die ewige Wiederkehr garantiert. Seine berühmtesten Bilder sind so berühmt, daß man vergessen hat, wer sie gemacht hat: das dunkle Auge Picassos zum Beispiel, in Bildmitte plaziert, unter dem Hut und über dem floral bestickten Mantelkragen. Eine gedankenverlorene Frau mit glänzendem Pünktchenkleid in einem südamerikanischen Café, die Perlenkette in der Hand und die Hand am Mund. Und dann gibt es noch Tausende von Bildern, die zeigen, was das Werk ist: nämlich das gigantische Unternehmen eines Visionärs, der zwei Dinge auf einmal wollte. Erstens das Einfache und zweitens das Pompöse.

Irving Penns Retrospektive wurde auf den Weg gebracht vom Art Institute of Chicago. Grundlage ist eine Schenkung des Fotografen, bestehend aus einem „akribisch gesicherten Archiv“ und „einer außergewöhnlichen Sammlung von Vintage Prints“, was Papierabzüge von der Hand des Fotografen bedeutet. „Wir hoffen“, schreibt Direktor und Präsident James N. Wood im Katalog, „das Ergebnis bietet die Gelegenheit, sich nicht nur einen Überblick über seine Kunst zu verschaffen, sondern sich auch schlicht zu erfreuen“.

Dem zweiten Wunsch, dem schlichteren, ist leicht zu entsprechen: Eine Ausstellung mit 130 fotografischen Abzügen von großteils enormer Qualität, in der die Kulturgesellschaft der Nachkriegszeit in präzise gefaßten Porträts an uns vorbeizieht, geschmückt durch extravagante, fast verstohlene Blicke in die Welt von Chanel und Dior, ergänzt durch einen Zyklus verwegen gebleichter Akte ruhender Torsi – das kann erfreuen. Aber einen Überblick über „seine Kunst“ gibt die Ausstellung nur bedingt. Was nicht daran liegt, daß zwei Fünftel der südlichen Deichtorhalle diskret verschlossen werden mußten, um den Mangel an Stoff aufzufangen, sondern daran, daß die Bilder eben doch zu eklektisch gewählt sind. Was kein Wunder ist, wenn man bedenkt, daß das Museum aus Chicago die unabdingbare Mühe einer Retrospektive gescheut hat: Werke zu leihen. Und sich statt dessen auf das Konvolut von Fotografien beruft, welches es vom Studio Penns in New York bekommen hat.

Irving Penn wurde Modefotograf, weil Alexander Liberman es so wollte: Der Art Director bei der amerikanischen Vogue wußte oft, was die jungen Leute konnten, bevor sie es selbst wußten. Zwischen 1947 und 1950 schoß Penn zum ersten Fotografen der Illustrierten hoch, die damals alles pflegte, was Glanz versprach: die Moden, die Lebensstile, die Prominenz und eine bestimmte Sorte Exotismus, etwas zwischen Reisemärchen und Fantasia-Land. Penn etablierte im Nu den ranken Adel einer korsettierten Mode, die noch aus Paris kam und schon sanft umknickte ins richtige Leben. Eine frühe Reise nach Peru, 1948, wo er in Cuzco das Atelier des örtlichen Fotografen übernahm und in vorzüglicher Technik eine enorme Serie über Indios fotografierte: etwas zu früh gealterte Figuren auf einem Steinboden in archaischem Licht. Es geht von diesen Bildern eine betörende Demut aus; ob die der Figuren oder die des Fotografen, ist schwer zu sagen.

So war Penn, Jahrgang 1917, mit Anfang dreißig eine Größe im glanzvollen, selbstbewußten New York, das mit einem Schuß geliehenem Surrealismus begonnen hatte, Paris als Weltkapitale des Stils den Rang abzulaufen. Gleichzeitig war er, mit seinen Indio-Porträts, schon auf einem anderen Trip. Es war eine Reise durch die „Worlds in A Small Room“, wie ein Bildband seiner ethnographisch inspirierten Porträts hieß.

Der „small room“ war das Studio in New York oder eine transportables Zelt, das auf Neuguinea aufgeschlagen wurde oder in Nepal. Aber auch die Hippies und Rocker von San Francisco wurden fotografiert: Hier hat die Hamburger Ausstellung aus Chicago die einzige Lücke, die nicht zu verschmerzen ist. Denn daß Penn, nun fünfzig, die Libido- und Lederkultur der Jungen um 1970 verstand, hatte mit seinen mikroskopischen Erfahrungen von Stammeskulturen zu tun.

Ebenfalls etwas mager ist die Retrospektive bei Penns phantastischen Säuredrucken (dye transfers) farbiger Stilleben, die über die Jahrzehnte kontinuierlich entstanden. Der asiatisch anmutende Minimalismus der „Salatzutaten“ von 1947 und die theatralische postwar- Morbidität der „Zwei Liköre“ von 1951: Erst vor wenigen Monaten waren sie in der Berliner Galerie „Camera Work“ zu sehen. Von „nicht zu haben“ kann also keine Rede sein.

Es gibt Ansätze einer analytischen Retrospektive: Probeprints, Telefaxe, Auftragsprotokolle, Buch- und Katalogpublikationen. Weil die Ausstellung ansonsten nach Themen gehängt ist, wird die Chronologie des Arbeitslebens nicht erkennbar. So kann man nur mit Mühe erkennen, wie der Fotograf sich ab 1972 eine Metaphysik der Dinge auslegt, beginnend bei zerfahrenen Zigarettenschachteln, endend beim aufdringlichen Memento mori, wie dem Schädel eines Löwen, 1986 aufgetrieben in Prag. Während die Mode ihm entgleitet, kehrt der introspektive Künstler im Fotografen zurück. Auch seine Ehefrau, das 40er-Jahre-Model Lisa Fonssagrive-Penn, machte in Kunst. Am Ende steht dann doch die Kompensation für den kommerziellen Erfolg: Kunst des Tiefsinns, die auf eine Illustration des schlechten Gewissens hinausläuft. Man sieht das angestrengt produzierte Selbstbild der New Yorker Bilderfabrik, vergrößert durch die bürokratische Lupe eines amerikanischen Museums. Das Einfache in Penns Werk bleibt großartig; aber das Pompöse schiebt sich davor und macht sich wichtig. „Eine Retrospektive“ heißt die Ausstellung, nicht ganz zu Unrecht. Eine andere wird folgen.

Deichtorhallen Hamburg, noch bis zum 6. September