2:1 für den Präsidenten

Irans Reform-Präsident Chatami verteidigt seinen Kurs gegen die Angriffe der Konservativen  ■ Von Reiner Wandler

Berlin (taz) – Als die konservativen Abgeordenten am Sonntag das iranische Parlament verließen, war ihnen klar, diese Runde im Machtkampf mit den Reformern war an sie gegangen. Mit knapper Mehrheit hatten sie bei einem Mißtrauensvotum Innenminister Abdollah Nuri abgesetzt. Doch die Verfechter einer streng religiösen Politik hatten die Rechnung ohne Präsident Mohammad Chatami gemacht. Er war nicht bereit, sich in seinem Reformkurs durch die Abgeordneten hindern zu lassen. Kurzerhand berief er Nuri zum Vizepräsidenten der Islamischen Republik und holte ihn damit in seinen achtköpfigen Beraterstab. Neuer Innenminister wurde die bisherige Nummer zwei im Ministerium, Mostafa Tadschsadeh, auch er ein Reformer. „Ich hoffe, daß er Nuris Arbeit fortsetzt“, erklärte Präsident Chatami am Ende der Kabinettssitzung.

„Das Innenministerium ist vom rechten Weg abgekommen“, begründete Mohammad Reza Bahonar die parlamentarische Initiative gegen Nuri. Den Konservativen gilt das Innenministerium, seitdem Reformer Chatami vor etwas mehr als einem Jahr überraschend die Präsidentschaftswahlen gewann, als Schaltzentrale einer Verschwörung gegen das religiöse Vermächtnis des vor neuen Jahren verstorbenen Revolutionsführers Ajatollah Chomeini. Dem Innenministerium untersteht die gesamte Verwaltung. Nuri nutzte diese Allmacht, um, wo immer möglich, Stellen mit Reformpolitikern zu besetzen. Die Konservativen beklagen, dadurch 75 hohe Verwaltungsbeamte, 350 Gouverneure und Distrikt-Chefs, 80 Bürgermeister und 942 Ortsvorsteher verloren zu haben. „Niemals zuvor sind erfahrene Kräfte so ungerecht behandelt worden“, beschwerte sich die Teheraner Abgeordnete Marzieh Dastgerdi. Diese Politik sei „schädlich für die Stabilität“, fügte ihr Kollege Seyyed Taher Taheri hinzu.

Exemplarisch für die neue Beamtenschicht um Präsident Chatami, haben sich die Konservativen auf Teherans Bürgermeister Gholam Hossein Karbaschi eingeschossen. Unter dem Vorwurf der Korruption wurde das populäre Stadtoberhaupt im April verhaftet. Nach einer Studentendemonstration kam er wieder frei. Ein schwerer Schlag für den Obersten Richter, Ajatollah Mohammad Jasdi, einer der Gallionsfiguren der Konservativen, hatte doch Innenminister Nuri die Solidaritätskundgebung genehmigt. Doch weder Nuri noch Präsident Chatami konnten ihren Freund Karbaschi vor dem Gerichtsverfahren retten, das Mitte des Monats begann. Der Prozeß wird im Fernsehen übertragen. Eine neue Form der Öffentlichkeit, die durch geschicktes Timing relativiert werden soll. Die Übertragung findet parallel zu den Abendspielen der Fußball-WM statt.

Für die Konservativen geht es beim Kampf gegen die Reformer ums politische Überleben. Präsident Chatami hat sich kein geringeres Ziel gesteckt, als „die Freiheiten zu institutionalisieren“. Am Jahrestag seines Wahlsieges, dem 23. Mai, legte er vor einem vollen Hörsaal der Teheraner Universität seine Vision „einer rechtlich abgesicherten Zivilgesellschaft“ dar. „Immer wenn sich in der Geschichte die Religion der Freiheit entgegenstellte, war es die Religion, die dabei zu Schaden kam“, begründete Chatami seine Politik.

Der Applaus der Studenten war ihm gewiß. Die iranische Jugend, die nicht unwesentlich zu Chatamis Wahlsieg beitrug, hat längst sowohl den orthodox-religiösen Ajatollahs als auch den im Exil lebenden Oppositionellen der ebenfalls religiösen Volksmudschaheddin, die während der WM in Frankreich mit ihren Transparenten auf sich aufmerksam machen, den Rücken gekehrt. Sie erwarten von Chatami nicht nur Reformen im Innern, sondern auch eine Öffnung nach außen. Zaghafte Annäherungsversuche, wie sie sich gegenüber den USA und der EU abzeichnen, werden mit Interesse verfolgt. Das Versprechen von US- Außenministerin Madeleine Albright, den Studentenaustausch zu stärken, kommt den Jungakademikern entgegen.

„Die gewünschte und legitime Freiheit könnte von denen unter Beschuß genommen werden, die grundsätzlich gegen die Freiheit sind, weil sie an ihren Vorurteilen festhalten“, warnte Chatami bereits bei seiner Jahrestagsrede vor einem erbitterten Machtkampf.

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