Cream of Crime
: Zorro als Polyp mit Krakenfingern

■ In Frankreich ist „Le Poulpe“ Kult. Jetzt erscheint der Rächer der Beladenen auch bei uns

Französische Krimis, mit Ausnahme des Belgiers Simenon und des Reiseführers Malet, gehen bei uns nicht gut. So jedenfalls lautet eine Faustregel deutscher Verleger. Allerdings (den Protest kleinerer Verlage, die es hin und wieder mit Einzelstücken von Vautrin bis Vilar versucht haben, riskiere ich an dieser Stelle): Es hat auch noch niemand ernsthaft probiert. Jetzt traut sich Wunderlich in seiner Acht-Mark-Reihe mit waghalsig trashigen Covern an „Le Poulpe“.

Dieser „Pulp Polyp“, mit bürgerlichem und sprechendem Namen Gabriel Lecouvreur, ist eine Gemeinschaftsfigur. Ausgedacht, mit grob skizziertem Hintergrund und sidekicks versehen von Jean- Bernard Pouy, kämpft er mit langen Armen, mit seiner Vorliebe für schicke Biere und seiner Freundin Cheryl seit 1995 gegen alle Konsensfeinde anständiger Menschen: Le Pen, die Rechtskatholiken, Naziskins, Altstalinisten und was La Grande Nation sonst noch an Dumpfbacken und Schmutzfingern zu bieten hat. Seine Basis ist das 11. Arrondissement und dort die wunderliche Kneipe „Le pied de porc à la Saint-Scolasse“, die von einem ebensolchen Trio nebst melancholischem Hund betrieben wird.

In Frankreich ist der Pulp Kult, die kleine Editions Baleine kommt mit dem Druck kaum nach, weil neben etablierten Autoren wie Didier Daeninckx und Patrick Raynal auch Newcomer Berge von Manuskripten für den Rächer der Mühseligen und Beladenen liefern.

Der Pulp hat sich inzwischen von seinen Schöpfern emanzipiert und greift auch außerliterarisch in die echten sozialen Konflikte Frankreichs ein. Pulp-Bücher sind für billiges Geld und in Riesenauflagen an jeder Ecke zu haben. Sie funktionieren als sogenannte Verständigungstexte für linksliberale Intellektuelle und Sympathisanten.

Genial ist der Name für das Unternehmen: Denn Gabriel langt mit seinen Polypenarmen garantiert in jeden Dreck, den interessierte Kreise (von Polizei bis Atomindustrie) unter den Teppich kehren möchten. Außerdem belegt der Name Poulpe, daß er aus dem Urschlick des realistischen Kriminalromans stammt, den schmuddeligen Pulp-Heftchen der 20er Jahre, was man in den Zeiten der prätentiösen Überhöhung des Krimis gar nicht genug unterstreichen kann.

Drei Pulp-Taschenbücher gibt's bis jetzt bei uns: von Pouy selbst, von Silvie Granotier und Jean-Jacques Reboux. Den vierten bei transit noch im Hardcover: „Nazis in der Metro“ von Daeninckx. Weitere werden folgen. So unterschiedlich wie die Autoren sind auch die Texte: ausgekocht und sprachspielmatzig Pouy, trocken-lakonisch Daeninckx, komisch-melancholisch Granotier und knallig Reboux.

Ein Ausbund an eleganter intrigue und raffiniertem plotting sind sie alle nicht unbedingt, dafür amüsant. Als Zorro-Romane im Krimi-Mantel funktionieren sie auch für deutsche Leser. So anders sind unsere Dumpfbacken und Schmutzfinger ja auch nicht, und man freut sich doch immer wieder, wenn sie eine verpratzelt kriegen.

Ein Unterschied ist natürlich die Tradition, in der Le Poulpe lebt: Der französische Kriminalroman war seit Albert Simonin, Jean Amila, Georges-Jean Arnaud, Pierre Vial-Lesou und natürlich Jean-Patrick Manchette schon immer und mit ästhetisch raffinierteren Mitteln politisch und „links“. Deswegen kann der Pulp auf wohlbereitetem Untergrund auch selbstironisch blödeln, anspielen und kraftmeiern. Ich will also gar nicht darüber nachdenken, daß Überreste der deutschen Soziokrimiszene sich an einem teutonischen Krakennachbau versuchen könnten. Thomas Wörtche

Jean-Bernard Pouy: „Pulp und die Petze“, deutsch von Stefan Linster; Jean-Jacques Reboux: „Pulp und die Glatzen der Fraternité“, deutsch von Ronald Voullié; Sylvie Granotier: „Pulp in Gips“, deutsch von Lisa Busch; Wunderlich, 8 Mark