England, deine Malerpreise

■ Einige Verstörungen um den Nat West Art Prize und eine Abbildung im „Independent“

Wenn es um Kunst geht, müssen selbst die Zeitungen der Gebildeten sich dumm stellen – das ist ein ungeschriebenes Gesetz. The Sunday Review, das am Samstag dem englischen Independent beigelegte Magazin zum Beispiel, ehrt regelmäßig die Londoner Künstlerszene. In der Ausgabe vom 28. Mai war ein vierseitiger Beitrag dem Nat West Art Prize gewidmet, dem höchstdotierten englischen Preis für Malerei, gestiftet von einer Bank, die eigentlich National Westminster hieß. Der Preis ist für den Gewinner mit 26.000 Pfund dotiert, also fast achtzigtausend Mark für eine Malerin oder einen Maler bis zu 35 Jahren; ein Geldregen.

The Sunday Review machte die Geschichte mit einem Streifengemälde auf und schrieb darunter: „Is this art? You're the judge“, so als hätten die Leser des Independent noch nie ein gegenstandsloses Bild gesehen. Das Sich-dumm- Stellen wäre vielleicht eine Spur lustig gewesen, hätte die Zeitung nicht das Bild selbst komplett verballhornt. Erstens stand es auf dem Kopf und zweitens war den vier Streifen, die es nun einmal hat, ein fünfter angehängt, der von der Diavorlage übernommen wurde, in Beige: die Wand, auf der das Bild hing, als es fotografiert wurde. Korrekt allerdings waren die Angaben, die das Bild begleiteten: Sybille Berger, „Ohne Titel“, 1996, und die biographische Notiz, die folgte.

Die Malerin Berger stammt aus Stuttgart, hat an der Berliner Hochschule der Künste Gestaltung studiert und ging dann an die Kaderschmiede der neuen britischen Kunst, das Goldsmith College in London, wo sie 1995 mit einem M.A. abschloß. Zum großen Erstaunen des akademischen Establishments ignorierte Berger die Lieblingsthemen der Szene – Gender, Stadtraum, Conditio humana – und elaborierte ihr malerisches System paradox angelegter Farben. Das Paradoxe betrifft nicht das Sehen (die Bilder flimmern nicht), sondern das Begreifen. Berger beschäftigt sich mit dem Eigenleben der Farben bis zur Verwirrung der Gefühle.

Sybille Berger war übrigens nicht die einzige, deren Gemälde in der Sunday Review um einen Wandstreifen ergänzt wurde. Auch die sanft suchende Pittura des Schotten Callum Innes wurde durch eine Hinzufügung entstellt. Er war es dann, der am vergangenen Dienstag den Nat West Art Prize bekam. Die anderen, auch Sybille Berger, müssen sich mit einer Kostenpauschale von tausend Pfund zufrieden geben. Insgesamt allerdings sind das 100.000 Mark allein für junge MalerInnen, „die in Britannien arbeiten oder studieren und in der Lage sind, Fähigkeiten nachzuweisen in Komposition, Zeichnung, Farbe und Technik“.

Zusätzlich gibt es in Liverpool einen zweijährlichen John- Moores-Preis für Malerei, zu dem es im letzten Jahr 1.800 (!) Einsendungen gab. Auch dort gehörte Sybille Berger zu den elf KünstlerInnen, die durch eine Ausstellung geehrt und mit einem Ankauf bedacht wurden.

Schade, daß man inzwischen nach England gehen muß, um als Malerin Erfolg zu haben. In Deutschland hat sich das geschmacksbildende Establishment von Kuratoren und Kritikern von „herkömmlichen Bildern“ (Ausstellungskatalog „nach weimar“, Cantz Verlag, 1996) abgewandt. Maler unter Sechzig sind von den gut sichtbaren Foren aktueller Kunst praktisch verschwunden; die älteren werden leidenschaftslos mit Retrospektiven geehrt.

Werke aller elf „Nat West“- KünstlerInnen sind übrigens bis zum 28. August in der Lothbury Gallery (Lothbury, U-Bahn Bank) zu sehen, dem lichten Atrium eines jener weißlichen Prachtgebäude, die das römisch anmutende Bankenviertel Londons zieren. Die Bilder – die man auch kaufen kann – hängen dort sämtlich richtig herum. Und jeder, der sie sieht, erinnert sich sogleich, daß Kunst Kunst ist und alles andere etwas anderes. Ulf Erdmann Ziegler