In Mailand starten die vier Motoren

■ Vier der wirtschaftlich stärksten Regionen Europas haben in der Lombardei mit einem gemeinsamen Jugendtheaterprojekt begonnen

Frappierend am Europa der Regionen ist, daß hier nicht ausschließlich über den drohenden Euro nachgedacht wird. Da werden tatsächlich auch kulturelle Kontakte untereinander geknüpft, vor allem wenn sich jemand wie Lucia Bellorini einschaltet. Sie ist Leiterin des lombardischen Regionalausschusses für Kultur in Mailand und hatte die Idee, daß die vier wirtschaftlich stärksten Regionen Italiens, Spaniens, Frankreichs und Deutschlands ein gemeinsames Jugendtheaterprojekt ins Leben rufen könnten. Als „Vier Motoren“ und erste gesamteuropäische Kulturinitiative fungieren seit diesem Jahr neben der Lombardei noch Katalonien, das Departement Rhône-Alpes und Baden- Württemberg.

„Die Idee ist, daß es zu einer direkten Zusammenarbeit der Theatermacher kommt und daß sie gemeinsam etwas entwickeln. Was wir nicht wollen: Daß jeder nur in seiner Region für sich arbeitet und das Ergebnis dann den anderen präsentiert“, sagt Lucia Bellorini. Im Mai trafen sich die Theatermacher zum ersten Mal, und zwar ironischerweise im italienischen Norden, wo entgegen aller gesamteuropäischer Verbrüderungstendenzen regionale Separationsgelüste besonders stark sind. Ausgerechnet in der wirtschaftlich stärksten Region Italiens, die nicht mehr den Zahlmeister für den Süden spielen will, ging es um grenzüberschreitendes Jugendtheater. Auf dem Marktplatz von Pavia, einem kleinen Städtchen nahe Mailand, sammelte die chauvinistische Lega Nord Stimmen für eine Spaltung Italiens, während im wunderschönen Rokokotheater am ersten gesamteuropäischen Jugendtheaterprojekt gearbeitet wurde.

Vorgestellt wurden aktuelle Inszenierungen, man besprach die Möglichkeiten gesamteuropäischer Theateraktivitäten. Die Finanzierung für die nächsten drei Jahre steht, 1999 werden die „Vier Motoren“ in Baden-Württemberg durchstarten, danach geht es nach Spanien und Frankreich. Den Zuschlag für Baden-Württemberg hat das Heidelberger Kinder- und Jugendtheater Zwinger 3 erhalten. Um „Theatersprache für Jugendliche“ soll es dort in einem Symposium gehen, ergänzt durch themenbezogene Gastspiele.

Schon beim ersten resümierenden Gespräch im Garten eines lombardischen Landgasthauses wurde allerdings deutlich: Die Regionalcharaktere der Theatermacher sind so unterschiedlich wie die jeweilige Küche. Das Freiburger Kinder- und Jugendtheater etwa demonstrierte mit seiner hochgelobten, aber mit dreieinhalb Stunden auch sehr langen Inszenierung von Ad de Bonts „Das besondere Leben der Hilletje Jans“ eine Gründlichkeit, über die sich die anderen nur wundern konnten.

Und während die Lombarden ihre exquisit restaurierten Rokokotheater als Gastspielbühnen betreiben und die reisenden Jugendtheatertruppen von zwei Mailänder Kinder- und Jugendtheaterzentren koordiniert werden, gibt es in Katalonien trotz der kulturellen Ausstrahlung Barcelonas so gut wie keine Jugendtheaterstruktur. Mit einer Einmannstiftung betreibt hier Jaime Amigo Pionierarbeit. In die Lombardei hat er ein infernalisches Trio mitgebracht, das unter dem Namen Chapertons aus Gummischläuchen so gut wie alles bastelt und dem enthemmten Slapstick frönt. Schon eher mit deutschen Stadttheaterstrukturen zu vergleichen ist da die französische Szene um Lyon, wo auch das wichtigste Jugendtheater Südfrankreichs beheimatet ist. Künstlerischer Leiter des „ThéÛtre des Jeunes Années“ ist Michel Dieuaide, der über große internationale Erfahrung verfügt. In Lyon gibt es schon seit einigen Jahren die international renommierte Jugendtheater-Biennale „ThéÛtre Jeune Public“, und besonders gut sind die Kontakte nach Italien.

Von den „Vier Motoren“ angestrebt ist jetzt, daß die gesamte Planung des nächsten Treffens in den vier Regionen reift und im nächsten Juni unter anderem ein gemeinsam bestücktes Symposium in Heidelberg stattfinden kann. Und das Fernziel ist natürlich eine gemeinsame Inszenierung. In Katalonien, dem Departement Rhône- Alpes oder der Lombardei – falls die dann noch zu Italien gehört. Jürgen Berger