Im Land der Verschwörung

Zwei Frauen verlieren ihre Existenz, ein Millionär die Hälfte seines Vermögens: Im ersten Jahr der Asienkrise hat sich das Lebensgefühl in der bis dahin boomverwöhnten Region für Arme und Reiche drastisch gewandelt. Schuld an dem Desaster sei das westliche Ausland, auf keinen Fall aber die eigene Wirtschaftspolitik, heißt es in Hongkong, Jakarta oder anderswo. Ein Streifzug  ■ Von Sven Hansen

Aus der öffentlichen Lautsprecheranlage entlang der Uisadangno, einer breiten Allee in Seouls Parlaments- und Verwaltungsviertel Youido, tönt klassische Klaviermusik. In diesem Teil der südkoreanischen Hauptstadt hat das Wirtschaftswunder in den letzten dreißig Jahren besonders deutliche Zeichen gesetzt: moderne Verwaltungspaläste, Konzern- und Bankzentralen und das höchste Hochhaus des Landes. Sie brachten dem Viertel auf einer Insel im Hanfluß den Spitznamen Manhattan ein.

Klavierklänge können Kim Hye- jeong nicht beruhigen. Die 42jährige Frau stammt aus der Hafenstadt Inchon vor den Toren Seouls. Mit Tränen in den Augen tritt sie in der Mittagshitze vor eine Gruppe von vierzig Frauen. Sie haben sich hier versammelt, um vor dem Sitz der Regierungspartei gegen die neuerdings wieder aufkommende Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu protestieren. „Ich bin seit Dezember arbeitslos“, schluchzt Kim gegen die Klaviermusik ins Mikrophon. Zuletzt produzierte sie in einer Firma mit fünf Angestellten Schmuckartikel. Als sich Ende vergangenen Jahres die tiefe Wirtschaftskrise Süd- Koreas nicht länger verbergen ließ und das Land vor der Zahlungsunfähigkeit stand, wurde sie entlassen. Seitdem sucht sie vergeblich Arbeit.

„Ich bin alleinerziehend und habe zwei Kinder“ – ein Kamerateam des koreanischen Fernsehens filmt die zierliche Kim in Großaufnahme. Theatralisch wirkt der Auftritt. Doch als Kim mühsam weiterspricht, verstummen die Umstehenden. Auch die rechts und links postierten jungen Männer in den grauen Kampfanzügen der Bereitschaftspolizei sehen weniger grimmig und dafür zunehmend betreten aus. „Mein älterer Sohn lebt in einem Behindertenheim, ich selbst bin leberkrank“, sagt Kim. „Ich habe alles unternommen, um Arbeit zu finden. Ich wollte auf der Straße Joghurt verkaufen. Ich habe in Restaurants nach Arbeit gefragt, doch sie nehmen dort nur junge Frauen. Ich war sogar bereit, aufs Land zu ziehen, weit weg von meinem behinderten Kind.“ Doch alle Versuche, Arbeit zu finden, seien vergeblich gewesen. Die Behörden hätten nichts getan, klagt sie. Im ohnehin kaum vorhandenen koreanischen Sozialsystem bekommen Frauen aus Kleinbetrieben weder Arbeitslosenunterstützung noch Sozialhilfe. Staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gibt es fast nur für Männer.

„Es ist so schwer geworden zu leben. Wie soll ich ohne Arbeit und Geld überleben?“ fragt Kim. Sie verstehe jetzt sehr gut, warum in letzter Zeit so viele Menschen Selbstmord begingen. 2.288 Koreaner brachten sich nach Behördenangaben im ersten Quartal dieses Jahres um, 36 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die rasant wachsende Arbeitslosigkeit und die Zunahme von Firmenpleiten sind die Hauptgründe. Für Kim bedeutet der Auftritt auf der Frauendemonstration Hoffnung. Die Frauen der Arbeiterinnenorganisation, die die Protestaktion veranstalten, seien bisher die einzigen gewesen, bei denen Kim seelische Unterstützung fand. Sie boten an, ihr Schicksal öffentlich zu machen, was Kim den ersten Fernsehauftritt ihres Lebens bescherte.

„Die Fernsehbilder haben ihr großen Ärger mit ihrem jüngeren Sohn eingebracht“, berichtet wenige Tage später die Leiterin der Arbeiterinnenorganisation. „Seine Klassenkameraden sahen seine weinende Mutter im Fernsehen und erfuhren, daß sie arbeitslos ist. Seitdem schämt sich der Junge für sie. Sie mußte ihm versprechen, nie wieder öffentlich aufzutreten.“ Der Stolz der Koreaner auf ihr jahrelanges Wirtschaftswunder, bei dem nur Wachstum zählte, ist tiefer Verunsicherung gewichen. Viele können damit kaum umgehen. Bezeichnenderweise wird die jetzige schwere Wirtschaftskrise in Süd- Korea „IWF-Krise“ genannt, so als hätte nicht die Regierung den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu Hilfe holen müssen, sondern als hätte der IWF die Krise über Korea gebracht. Zwar hat der Währungsfonds durch die Politik hoher Zinsen die Krise zunächst verschärft, doch daß in der öffentlichen Wahrnehmung Ursache und Wirkung völlig vertauscht werden, sagt viel über das kollektive Selbstverständnis aus. Für die meisten Koreaner sind IWF und Krise ein Synonym.

Wenn es in Korea so etwas wie ein Wort oder Unwort des Jahres gäbe, hießen beide mit Sicherheit IWF. Vor allem die Werbung hat sich den drei Buchstaben angenommen. Da sie nicht in koreanische Hangul-Schriftzeichen übertragen wurden, fallen sie sofort auf: Kaufhäuser machen mit riesigen Transparenten auf einen „IWF-Sonderverkauf“ oder „IWF-Ausverkauf“ aufmerksam. In Restaurants gibt es spezielle „IWF-Menüs“, die 2.000 Won (2,80 Mark) billiger angeboten werden. „Schlagen Sie der IWF-Krise ein Schnippchen, und senken Sie mit uns Ihre Kosten“, wirbt eine Telefongesellschaft. „Werden sie Friseur, denn das ist ein IWF-krisensicheres Handwerk“, lautet im Bus die Reklame der Friseurinnung.

„Den Koreanern geht es noch nicht schlecht genug“, meint der Fondsmanager eines deutschen Versicherungskonzerns in Hongkong bei seiner Rückkehr von einer Geschäftsreise nach Seoul. Schnäppchen seien in Korea noch nicht zu machen, noch lohne der Aufkauf koreanischer Firmen nicht. Die Koreaner verlangten immer noch zu viel. „Sie denken, die Ausländer werden schon zahlen, doch die Koreaner bieten nur eine Beteiligung von 30 statt 51 Prozent und glauben dann, alles gehe so weiter wie bisher. Aber warum sollten wir dann bei ihnen investieren, wenn wir nicht entscheiden dürfen?“ Das Bewußtsein werde sich wohl erst ändern, sagt der Fondsverwalter, wenn sich die Krise noch weiter zuspitze. Daß das zynisch klingt, weiß er.

Harjono Wong und seine Familie haben in den letzten zwölf Monaten 45 Millionen US-Dollar verloren – rund die Hälfte ihres Vermögens. „Ich habe schon zwei Häuser in London und eins in New York verkaufen müssen“, sagt der 32jährige Hongkongchinese, der zudem an Hongkongs Börse viel Geld verloren hat. Doch Wong sieht die Krise bisher eher als intellektuelle Herausforderung. Ihn ärgert, daß seine Bank ihm die Kreditlinie gekürzt hat, doch seinen Lebensstil hat er deshalb nicht einschränken müssen. Beim Treffen in einem noblem italienischen Restaurant im Hongkonger Yuppie- und Szeneviertel Lan Kwai Fong sind zunächst alle Tische besetzt. „So schlecht geht es uns doch offensichtlich gar nicht“, stellt Wong erfreut fest. Er spielt darauf an, daß Hongkongs Zeitungen in den letzten Monaten immer wieder von Restaurants berichtet haben, die wegen des starken Kundenrückgangs schließen mußten.

Gestreiftes Hemd, keine Krawatte, schlichte Brille – der 32jährige sieht aus wie ein Student und nicht wie der Boß eines global operierenden Unternehmens. Wong wurde in Indonesien geboren, wuchs in Hongkong auf und studierte in den USA. Sein Urgroßvater stammt aus Shanghai. Als sich Anfang des Jahrhunderts am chinesischen Kaiserhof die Erkenntnis durchsetzte, daß China sich modernisieren müsse, gehörte Wongs Urgroßvater zu den Auserwählten, die zur Ausbildung ins Ausland geschickt wurden. In Berlin wurde der Urgroßvater zum Optiker ausgebildet. In den zwanziger Jahren zog er nach revolutionären Unruhen in Shanghai, dem Geburtsort der Kommunistischen Partei Chinas, nach Indonesien. In Jakarta verkaufte er zunächst Brillen auf der Straße. Heute besitzt Wongs Familie in Indonesien eine Optikerkette mit siebzig Filialen, dazu in Jakarta eine Fabrik mit 3.000 Arbeitern, die bis zu drei Millionen Brillengestelle im Jahr produziert und hauptsächlich nach Europa exportiert. Wongs Eltern – sein Vater war Mitglied der Kommunistischen Partei Indonesiens – flohen 1967 während der antichinesischen und antikommunistischen Pogrome nach Hongkong. Während Wongs Onkel in Indonesien blieb, baute sein Vater die Brillenproduktion von Hongkong zu einem weltweiten Geschäft aus.

„Fünf unserer indonesischen Filialen sind Mitte Mai bei den antichinesichen Ausschreitungen kurz vor Suhartos Rücktritt abgebrannt“, sagt Wong, der als Generalmanager zwischen dem Firmensitz in Hongkong, dem Produktionsstandort Indonesien und den Märkten in Europa hin- und herpendelt. „Zum Glück blieb unsere Fabrik in Jakarta verschont, weil sie in einer vom Militär gut bewachten Zone westlicher Firmen liegt. Hätte es die Fabrik getroffen, wären wir wohl am Ende. Dann hätten wir wahrscheinlich Indonesien endgültig verlassen. So haben wir zum Glück nur Geld verloren“, sagt Wong lakonisch.

Bei der gegenwärtigen Krise sei in Indonesien mit Brillen natürlich überhaupt kein Geld zu verdienen. Seine Läden würden gegenwärtig nur Verluste einfahren. Die Chance, daß sie geplündert würden, sei höher, als daß sie Geld einbrächten. Zum Glück exportiere seine Firma viel nach Deutschland, Italien und Frankreich. Wong freut sich besonders auf die Einführung des Euro. Denn der werde seine italienische Konkurrenz schwächen, die bisher von den Abwertungen der Lira profitieren konnte. Damit werde mit dem Euro dann wohl Schluß sein.

Wong hat nicht nur einen indonesischen Vornamen, sondern auch die indonesische Staatsbürgerschaft. Außderdem hat er wie viele Hongkongchinesen einen zweitklassigen britischen Überseepaß, der ihm die visafreie Einreise in die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien ermöglicht. Dazu besitzt er zur Sicherheit noch die kanadische Staatsangehörigkeit. Er spricht den Shanghaidialekt seiner Urgroßeltern, das in Hongkong gesprochene Kantonesisch und die chinesische Hochsprache Mandarin, dazu Indonesisch und Englisch. Manchmal frage er sich, wer er sei und wo er eigentlich hingehöre. Doch mittlerweile sei ihm klar, daß er in seinem Herzen Chinese sei. Sollte er einmal Vater werden, möchte er, daß sein Sohn in China geboren wird. In zwanzig Jahren, prophezeit er, werde es zwischen Hongkong und China eh keinen Unterschied mehr geben.

Für sein Geburtsland Indonesien hat Wong nicht viel übrig. „Meine Familie hat auf die Indonesier immer herabgeblickt“, erklärt er. „Mein Vater sagte mir, wir haben dort keine Rechte. Unsere einzige Waffe ist das Geld, das wir für unsere Zwecke einsetzen müssen.“ So sei es völlig naheliegend gewesen, den Suharto-Clan mit zehn Prozent am Geschäft der Brillenfirma in Indonesien zu beteiligen. „Die Suhartos haben dafür natürlich nichts bezahlt, wir haben es ihnen so gegeben, ohne daß sie überhaupt danach gefragt haben. Wir wollten sie einbinden, um so mehr Sicherheit für unsere Firma zu haben“, sagt Wong, als handele es sich um ein ganz normales Geschäft. Formal sei das über Suhartos Frau gelaufen.

Als diese vor zwei Jahren verstarb, seien die Anteile auf Suharto persönlich übertragen worden. Von Suhartos Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie hält Wong überhaupt nichts. „Der ist eine Witzfigur“, meint er. Er glaubt nicht, daß Habibie sich lange wird halten können, er sei ein Übergangspräsident, der von niemandem richtig ernstgenommen werde. „Die politische Krise in Indonesien ist noch lange nicht ausgestanden“, sagt Wong. Sobald es dort einen neuen starken Mann gebe, werde seine Familie dem wieder zehn Prozent an ihrem Optikergeschäft geben. Momentan sei nur leider unklar, wer dies sei. Und daher fühle sich seine Familie momentan schutzlos. Vielleicht werde sich aber auch General Wiranto durchsetzen, der scheint ein vielversprechender Mann.

Geschockt habe ihn bei seiner letzten Indonesienreise direkt nach Suhartos Rücktritt ein Treffen mit einem Manager der Optikerkette. Der Mann, ein chinesischstämmiger Indonesier, sei mit seinen Nerven völlig am Ende gewesen. Seine Familie habe bei den Unruhen in Medan ihr Haus verloren, anschließend sei sie zu ihm nach Jakarta geflohen und habe auch dort um ihr Leben fürchten müssen. „Der Mann hat mir mit Tränen in den Augen gekündigt. Er will Indonesien verlassen und zu seinem Bruder nach Taiwan ziehen. Dort muß er sich dann als Illegaler durchschlagen. Ich habe versucht, ihn zum Bleiben zu überreden, doch er ließ sich nicht überzeugen“, sagt Wong. Wobei ihm die Betroffenheit anzumerken ist.

Wong studierte an der Columbia University in New York Betriebswirtschaft. Zwei Tage nach dem Ende seines Studiums trat er mit 23 Jahren in die Firma seiner Eltern ein. Seitdem hat er sich die vergangenen Jahre nur damit beschäftigt, die Millionen zu vermehren. Bis zum vergangenen Jahr ging das gut. Doch seit der Krise reiche ihm das Geldscheffeln als Sinn des Lebens nicht mehr aus. Sein einziger Zeitvertrieb in einem von sechseinhalb Tagen Arbeit die Woche und permanenten Geschäfsreisen geprägten Leben ist das sonntägliche Golfspiel mit einer Clique früherer Colombia-Kommilitonen aus Hongkong. Heute seien sie alle Geschäftsleute, Manager und Banker.

„In unserer Golfrunde diskutieren wir viel über die gegenwärtige Krise“, sagt Wong. „Bei uns hat sich die Meinung durchgesetzt, daß die sogenannte Asienkrise eine westliche Verschwörung ist. Denn wir Asiaten können mit Ausnahme von Hochtechnologieprodukten mittlerweile fast alles produzieren, was die westlichen Industrieländer herstellen, nur daß wir viel preiswerter sind. Das hat zu einer weltweiten Überproduktion geführt. Früher wurde diese durch Kriege beseitigt, heute geschieht dies durch die Finanzkrise. Sie vernichtet in Asien große Kapazitäten und Vermögen und öffnet die asiatischen Länder für westliche Konzerne“, sagt Wong. Es sei kein Zufall, daß Indonesien als größtes Land in der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean am härtesten getroffen sei. China sei zu mächtig, Japan dem Westen zu ähnlich, doch das große Indonesien biete sich einfach an. Wong läßt offen, ob er an die krude Verschwörungstheorie glaubt. Er läßt aber durchblicken, daß sie für ihn eine gewisse Plausibilität hat. Für die Wirtschaft in den USA und Deutschland komme die Asienkrise seiner Meinung nach jedenfalls wie gerufen.

„Langfristig wird auch in China an Demokratie kein Weg vorbeiführen“, ist Wong sicher. Doch Demokratie könne erst funktionieren, wenn die Menschen satt seien. „Erst muß die wirtschaftliche Entwicklung in Asien kommen, dann die politische“, sagt er. Wong verteidigt auch die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung im Juni 1989. Damals habe es für die chinesische Regierung keine Alternative gegeben, ihr hartes Durchgreifen sei der einzig richtige Weg gewesen. Doch die jetzige Krise in Asien mache die Demokratisierung nur schwieriger.

Für Lee Tae-hee hingegen geht die Demokratisierung viel zu langsam. Die 26jährige südkoreanische Gewerkschaftsaktivistin hat im April ihren Job in einer zu Daewoo, dem viertgrößten Konzern des Landes, gehörenden Elektronikfirma verloren. Dort arbeitete sie als Trainerin für Kundenberater. Von den 3.500 Mitarbeitern seien 500 entlassen worden, davon achtzig Prozent Frauen und Mütter. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum es gerade uns Frauen getroffen hat“, sagt sie entrüstet. „Wir arbeiten doch schwerer als die Männer.“ Ihre Entlassung sei außerdem ungesetzlich, sie sei ihr erst drei Tage vorher mitgeteilt worden. Seitdem hat Lee mit einer Gruppe Kolleginnen an achtzig Tagen rund einhundert Mal demonstriert, oft vor der Daewoo-Zentrale direkt gegenüber dem Hauptbahnhof von Seoul. Sie demonstriert auch zusammen mit Kim Hye-song und den Frauen der Arbeiterinnenorganisation vor der Zentrale der Regierungspartei. „Uns geht es noch besser, als denen in den ganz kleinen Betrieben. Die seien nicht organisiert und völlig schutzlos, sagt Lee und spielt damit auf das Schicksal von Frauen wie Kim an. Im Gegensatz zu Kim ist Lee auch mittlerweile eine routinierte Rednerin. „Stoppt ungerechte Entlassungen“, ruft sie nach Kim ins Mikrophon und fordert: „Mehr Arbeit für Frauen.“

Lee ist eine Kämpferin. In ihrem Alter und als Ledige hat sie auf dem koreanischen Arbeitsmarkt weit bessere Chancen als die 42jährige Kim mit ihren zwei Kindern. Auf Lees grüner Gewerkschaftsweste steht in gelber Schrift: „Gemeinsam kämpfen“. „Die Konzernchefs sollten persönlich für die Krise haften, die sie verursacht haben“, fordert Lee. Der Chef von Daewoo sei korrupt und sollte vor Gericht. Er habe der IWF-Krise zu verdanken, daß er nicht verhaftet worden sei. Sie glaubt, er werde wohl noch gebraucht. Der neuen Regierung von Präsident Kim Dae- jung vertraut Lee nicht, auch wenn der eine weitere Demokratisierung versprochen hat. Sie geht davon aus, daß Präsident Kim scheitern wird. Nicht gut zu sprechen ist sie auch auf die Medien. Die berichteten oft falsch und machten Stimmung gegen die Gewerkschaften. So glaubt Lee auch nicht, daß die ausländischen Investoren, wie oft behauptet, unbedingt nach Entlassungen verlangen.

Im Gespräch nach der Demonstration räumt die junge Aktivistin ein, daß die Wiedereinstellung aller Entlassenen ihrer früheren Firma auf absehbare Zeit wohl unrealistisch sei. „Wenigstens die aktivsten fünfzig Frauen, die jeden Tag demonstrierten, sollten wieder eingestellt werden“, meint sie. „Wir haben doch deutlich gezeigt, daß wir die Entlassung nicht akzeptieren und die Jobs behalten wollen.“ Doch auf die Frage, warum die Firma in Zeiten der Krise, in denen sie die Arbeitskräfte mehr denn je aussuchen kann, unbedingt Frauen einstellen sollte, die dafür bekannt seien, für ihre Rechte zu kämpfen, weiß Lee auch keine Antwort. Sie habe nur die Hoffnung, sagt sie, denn eigentlich brauche die Firma Arbeitskräfte.

amen von der Redaktion geändert.

Sven Hansen, 37 Jahre, ist Auslandsredakteur der taz. Sein Schwerpunkt ist der Asien-Pazifik-Raum. Zuletzt war er im Juni in Hongkong, China und Süd-Korea.