Bitte keine Politik in Wahlkampfzeiten

In Sachsen verbietet die Regierung den Unis bis zur Wahl politische Veranstaltungen  ■ Aus Leipzig Toralf Staud

Verbot politischer Betätigung“ steht in großen Lettern auf den Plakaten, die die „Linke StudentInnen-Gruppe“ (LSG) der Universität Leipzig auf dem Campus aufgehängt hat. Darunter ist die Kopie eines Erlasses abgedruckt, den das sächsische Wissenschaftsministerium im April an alle Hochschulen schickte. Die „Vorwahlzeit“ für die Bundestagswahl habe begonnen, heißt es da. In dieser Zeit „ist die Überlassung von Räumen für politische Veranstaltungen untersagt. Ebenso ist das Anbringen, Verteilen und Auslegen von Plakaten, Broschüren u.a. politischen Werbeartikeln in den Räumen unzulässig.“

Ende Juni wollten die linken Studenten in Leipzig eine Veranstaltung zur Menschenrechtssituation in Kurdistan abhalten: Eine Delegation der „Samstags-Mütter“, die jede Woche in Istanbul für ihre verhafteten, getöteten oder verschwundenen Söhne demonstrieren, wollte auf ihrer Deutschland-Rundreise in der Sachsenmetropole Station machen. Wie bei vielen Veranstaltungen vorher habe man problemlos einen Raum bewilligt bekommen, sagt Heiko Kempa von der LSG. „Einen Tag vorher hatten wir dann plötzlich eine Absage im Briefkasten.“ Auf Nachfrage habe sich die Uni-Verwaltung auf den ministeriellen Erlaß berufen. „Aus unserer Sicht ist das ein Unding“, schimpft Kempa. Der geplante Abend sei „definitiv“ keine Wahlkampfveranstaltung gewesen. Offenbar wolle die Uni politisch unbequeme Studenten drangsalieren.

Universitätskanzler Peter Gutjahr-Löser weist solche Vorwürfe weit von sich: „Was kann ich machen, wenn ich eine Weisung bekomme?“ Der Erlaß sei nun einmal bindend. Bei der Kurdistan- Veranstaltung sei er sich unsicher gewesen, ob sie unter den Begriff „politische Veranstaltung“ fällt. Er habe deshalb im Wissenschaftsministerium nachgefragt. „Der Staatssekretär persönlich“ habe dann entschieden, daß der Raum versagt wird. Der Universitätskanzler: „Da hatte ich keine Wahl.“ Gutjahr-Löser bestreitet, sich mit seiner Entscheidung einseitig gegen Linke zu stellen. Eine Veranstaltung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU habe er ebenfalls nicht zugelassen.

Im Wissenschaftsministerium hält man den Erlaß für einen „normalen Vorgang“. Sprecher Hartmut Häckel erklärt, ein halbes Jahr vor Wahlen sei „für Behörden und Einrichtungen in deren Geschäftsbereich eine gewisse Zurückhaltung im politischen Bereich geboten“. Das Bereitstellen von Räumen könne ja als Parteinahme gewertet werden. Für den Fall der kurdischen Samstags-Mütter rudert Häcker jedoch zurück. Die Uni Leipzig selbst habe entschieden, keinen Raum für die Kurdistan-Veranstaltung zur Verfügung zu stellen. Das Ministerium trage die Entscheidung aber mit – weil nicht auszuschließen war, daß an dem Abend Propaganda für die Kurdische Arbeiterpartei PKK gemacht worden wäre. „Gruppen, bei denen die Gefahr besteht, daß Tendenzen hereinkommen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, bekommen keine Räume“, sagt Häckel. Uni-Kanzler Gutjahr-Löser reagierte auf die Darstellung des Ministeriums erstaunt: „Das ist nicht wahr!“ Er wisse noch auf den Tag genau, wann er mit dem Staatssekretär gesprochen habe.

Die Linke StudentInnen- Gruppe will die Sache jedenfalls nicht auf sich beruhen lassen. Die Regelung „macht politisch interessierten Studierenden die Betätigung an der Universität unmöglich“, schrieb die LSG an Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer (CDU). Die linken Studenten wollen nun rechtliche Schritte gegen den Ukas des Ministers prüfen. „Man kann nicht für ein halbes Jahr die politische Aktivität lahmlegen“, so Heiko Kempa von der LSG. „Die Universität ist keine staatliche Behörde, sondern ein öffentlicher Raum, gerade da sollte diskutiert werden.“ Die Studentenvertretung der Uni Leipzig hat Verständnis für das Verbot rein wahlpolitischer Veranstaltungen. Aber ein „undifferenziertes Politikverbot an der Uni ist einer Demokratie unwürdig“, sagt ihr Sprecher Christian Schmidt-Gütter. Er fühle sich „eher an die Zeit vor der Wende“ erinnert.