Kinder passen nicht in den Wahlkampf

■ Bundesjugendministerin Nolte hält den Bericht über die soziale Lage von Jugendlichen zurück. Die Ergebnisse dürften der Koalition zu Zeiten des Wahlkampfs nicht behagen. Experten bezeichnen Deutschland

Berlin (taz/dpa/AFP) – Kinder und Wahlkampf – aus Politikersicht paßt das meist gut zusammen: Lächelnde Minister küssen quietschende Babys und hoffen, daß ihre Umfragewerte steigen. Doch Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) und Familienministerin Claudia Nolte (CDU) wollten sich gestern lieber nicht zum Thema Kinder äußern.

Der vorzeitig bekanntgewordene X. Kinder- und Jugendbericht hat die beiden in eine peinliche Lage gebracht: In Ostdeutschland, so die Expertenkommission, lebt jedes fünfte Kind in Armut. Im Westen sieht die Situation zwar besser, aber keineswegs rosig aus. Der Bericht stuft 11,8 Prozent der Kinder in den alten Bundesländern als arm ein, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) erfuhr.

Die gerade in Wahlkampfzeiten politisch brisanten Zahlen wurden offenbar aus dem Kreis der Expertenkommission in der Öffentlichkeit lanciert. Hintergrund dürfte die Verärgerung bei den beteiligten Wissenschaftlern gewesen sein, daß die Bundesregierung das im Februar eingereichte Dokument noch immer unter Verschluß hält. Laut Kinder- und Jugendschutzgesetz muß die Regierung in jeder Legislaturperiode eine solche Studie vorlegen. Doch gestern bestätigte das Bundesjugendministerium offiziell, daß der Bericht vor der Bundestagswahl nicht mehr veröffentlicht werde.

Ministerin Nolte ließ zugleich Vorwürfe zurückweisen, der Bericht werde wegen unliebsamer Ergebnisse für die Union absichtlich zurückgehalten. Der Grund für die Verzögerung sei vielmehr, daß die Sachverständigenkommission den Bericht erst mit sieben Monaten Verspätung abgegeben habe. Außerdem habe der Umfang statt der erbetenen 300 über 700 Seiten betragen. Das Ministerium benötige aber mindestens sechs Monate Zeit, um eine Stellungnahme zu erarbeiten, ohne die der Bericht nicht veröffentlicht werden könne.

Unabhängig davon, was (oder wer) ein Erscheinen der Studie verhindert hat, sie enthält Forderungen, die dem Wahlkampfkonzept der Union zuwiderlaufen. Laut SZ spricht der Bericht im Zusammenhang mit ausländischen Jugendlichen von Deutschland als „multikultureller Einwanderungsgesellschaft“ und fordert einen „sicheren Rechtsstatus der Einwandererfamilien“. pat

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