Für die einen ist es Zwang, für andere sanfter Druck

■ In den Niederlanden sind Sprachkurse Pflicht. Ein „Einbürgerungsvertrag“ schreibt Neuankömmlingen sogar das Lernen der Landessitten vor – dafür werden sie aber auch gefördert

Als Denis Bergkamp in der 90. Minute doch noch das 2:1 gegen Argentinien schießt, hält Nena Mijatović nichts mehr auf ihrem Stuhl: „Hup Holland“, schreit sie, wieder und wieder. In Null Komma nichts greift sie zu ihrem Mobiltelefon. „Wir haben gewonnen“, ruft sie in fließendem Niederländisch, „in welcher Kneipe treffen wir uns?“ Wenig später dreht sie sich zu ihrer Freundin um und verfällt in ekstatisches Serbokroatisch. Seit ein paar Monaten ist Nena Niederländerin.

1993 hat sie ihre Heimat in der Nähe von Belgrad verlassen und ist nach Amsterdam gekommen. Hier hat sie ihr Studium beendet, sich in einen amerikanischen Journalisten verliebt und einen Job bei einem Computerkonzern gefunden. Wie fast alle ihre früheren Freunde hat sich Nena bestens eingelebt – dazu war sie allerdings auch vertraglich verpflichtet. Es war kurz nach ihrer Ankunft, als die Haager Regierung beschloß, Neuankömmlinge künftig mit einem „Einbürgerungsvertrag“ willkommen zu heißen. 500 Stunden Kursus stehen seither auf dem Plan, in denen die Neuen nicht nur die Sprache lernen sollen. Unterweisung in Sitten und Gebräuchen steht ebenso auf dem Programm wie praktische Lebenshilfe: Wann muß ich zum Bezirksamt, wie viele Streifen stemple ich ab, wenn ich mit der Tram zum Bahnhof fahre, wie repariere ich ein Fahrrad? In Rollenspielen lernen die Teilnehmer, daß der Niederländer sich am Telefon mit seinem (Vor-)Namen meldet und nicht mit „Hallo“, bei Exkursionen wird das Verkehrsverhalten holländischer Fahrradfahrer erkundet.

Die Kurse haben sich bewährt: Galten sie anfangs vor allem unter Linken als paternalistisch, zeigt die Erfahrung, daß das Angebot von fast allen Einwanderern, die sich in einer völlig fremden Umgebung zurechtfinden müssen, dankbar angenommen wird. Nach wie vor umstritten ist lediglich die Androhung von Sanktionen. Wer nicht regelmäßig erscheint, dem droht die Kürzung der Sozialhilfe. Umgekehrt gilt: Nach Absolvieren des Kurses gibt es keine Probleme mit dem Erhalt einer dauerhaften Aufenthaltsberechtigung; nach fünf Jahren können Einwanderer einen niederländischen Paß beantragen. Seit neuestem nimmt allerdings auch der Druck auf die Alteingesessenen zu: Laut dem Koalitionsvertrag, der in der vergangenen Woche vorgelegt wurde, sollen künftig auch arbeitslose Ausländer, die die Sprache nicht sprechen, verpflichtet werden, die Kurse zu absolvieren, wenn sie weiterhin staatliche Unterstützungen beziehen wollen. Auch Eltern schulpflichtiger Kinder sollen an Sprachkursen teilnehmen – anderenfalls, so die Argumentation, könnten sie nicht einmal bei den Hausaufgaben helfen.

Zu der Verpflichtung zur Integration, die von den einen als Zwang, von anderen als sanfter Druck empfunden wird, gesellt sich allerdings die Bereitschaft, sich selbige etwas kosten zu lassen. Der Koalitionsvertrag betrachtet es als „Kernaufgabe“, die „Benachteiligung von Minderheiten“ aufzuheben. In der kommenden Kabinettsperiode sollen 400 Millionen Gulden (rund 360 Millionen Mark) für die Verbesserung der Lebensbedingungen in den großen Städten, in denen über 40 Prozent Immigranten leben, aufgebracht werden. 50 Millionen Gulden werden in zusätzliche Sprachkurse investiert.

Bereits seit Jahren bekommt eine Schule für jedes Einwandererkind doppelt soviel Geld wie für ein niederländisches. Auch damit wird Sprachunterricht finanziert – aber nicht nur in Niederländisch. Seit den siebziger Jahren ist Konsens, daß jedes Kind auch seine Muttersprache lernen muß, weil dies sowohl für die Identität als auch für die Sprachentwicklung wichtig sei. Zur Zeit werden mündliche Sprachen wie Berber in Schriftsprache übersetzt und Schulbücher entworfen. Am 1. August bekommt der „Unterricht in allochtonen lebenden Sprachen“ Gesetzeskraft. Auch sonst steht der Verpflichtung, die Sprache zu lernen, die Möglichkeit des Erhalts der eigenen Identität gegenüber. Für fast alle Minderheiten gibt es eigene Radio- und Fernsehprogramme. Islamische Schulen gehören ebenso zum Stadtbild wie Moscheen. Quoten an Schulen oder anderswo sind kein Thema – obwohl in Amsterdam und Rotterdam der Einwandereranteil in zahlreichen Stadtteilen bei weit über der Hälfte liegt. An Amsterdams Schulen sind sechs von zehn Kindern nichtniederländischer Herkunft. Gerade aus deutscher Sicht kann es da nur wenig verwundern, daß auch hier mit dem Erhalt der eigenen Kultur und der Angst vor Überfremdung Stimmung gemacht wird. Es war nicht nur dem Sommerloch geschuldet, daß ein Nachrichtenmagazin kürzlich in einer Titelgeschichte fragte: „Wer kümmert sich noch um die einfachen Leute? Wie Medien und Politik das Leben der ethnischen Niederländer vernachlässigen!“ Jeannette Goddar