Am hellen Strand der Unstrut

Graureiher, Radfahrer und Fährleute. Die Region Saale/Unstrut setzt auf eine Verbindung von Tourismus und Ökologie. Ufer und Täler sind ein wahres Biotop, ein Paradies für die Naturfreunde unter den Radlern  ■ Von Stefan Höhle

Er stand am Ufer des Waldsees und schien mich schon heranrollen gehört zu haben, der Graureiher.

Gleich bei der ersten Tour hatte es mich in die Toten Täler gezogen, den Hasselbach hoch, der ein kleines Seitental der Unstrut ausgeformt hat. Es steht unter Naturschutz. Wie die ganze Gegend am Unterlauf der Unstrut und der Saale um Naumburg. Zusammen bilden sie den Naturpark Saale- Unstrut-Triasland. Das bedeutet – mit oder ohne Rad –, die markierten Routen dürfen nicht verlassen werden.

Lieblich soll es sein an der Unstrut, da will ich ja auch später lang. Aber in den Seitentälern, zumeist Naturschutzgebiete, ist es ruppig, üppig und manchmal richtig dunkel. Dafür, daß die Täler hier tot sind, zirpt, schwirrt und huscht es eigentlich ganz schön um mich herum. Der Weg schlägt einen Haken nach dem anderen, aber auf dem weichen Boden ist es eine Freude, sich sanft in die Kurven zu legen. Dann rieche ich Wasser. Nur als zusätzliche Note in der sowieso wegen der Pflanzen durchfeuchteten Luft, aber es ist ganz deutlich die großflächigere, kühlende Oberflächenverdunstung eines Gewässers, die den Atem erfrischt. Die köstliche Luft, der nachgebende Boden lassen mich beschwingt in die Pedale treten, und so komme ich in etwas flotterer Fahrt am Ufer des Waldtümpels heraus.

Überrascht konnte ich ihn nach dieser Annäherung also nicht haben, den Reiher. Er steht auf seinen Stelzen halb im zufließenden Hasselbach, und während sich meine Augen wegen des abrupten Stopps mit Schweiß füllen, wendet er sich, keine fünf Meter von mir entfernt, staksend in eine andere Richtung. Und als mir endlich in den Kopf schießt, daß ich es bin, der hier fehl am Platz ist, prüft er mit gestrecktem Hals nun wohl eine passable Abflugschneise, öffnet seine Schwingen zu ganzer Breite und hebt langsam, aber wegen der umgebenden Baumkronen ziemlich steil ab. Er beschreibt einen Halbkreis, legt zwischen den Schlägen seinen Hals in S-Form und streicht hart über die Wipfel weg.

Eigentlich schon eine Grenzüberschreitung meinerseits. In sein Refugium hätte ich nicht eindringen müssen. Ich wende mich um und lenke mein Gerät auf dem sonnenbeschienenen Asphaltsträßchen zurück nach Balgstädt. Hier stehe ich am Strand der Unstrut. Breit, weit, offen, doch alles andere als mächtig hat sich der Fluß sein Tal geformt, nicht immer sind seine Ufer auszumachen. Gelegentlich sieht man ihn im begradigten Lauf, dann darf er sich wieder schlängeln und biegen, die Weiden an seinem Gestade folgen ihm. Nicht so die Hänge des Tals. Sie schwächen seine Kurvenradien ab zu Schwüngen, die Richtung Süden kilometerweit zu verfolgen sind. Eine sanfte Landschaft.

Ich fühle mich eingeladen, flußabwärts zu radeln, wo ich Freyburg liegen sehe, das letzte größere Städtchen, das die Unstrut passiert, um rund sieben Kilometer weiter in die Saale zu münden. Und genau dort will ich hin. Zur Saale-Unstrut-Mündung. Der Unstrut-Fahrradweg führt auf der anderen Uferseite entlang, oberhalb von Balgstädt komme ich über den Fluß.

Ruhe, grüne Wiesen, Uferbäume, nahe am Wasser ist es kühl. Ich kann endlich diese einmaligen Weinberghänge hier auf der Ostseite des Tals betrachten, sie liegen jetzt in der hellen Sonne. Ich kenne beispielsweise die Weinberge Rheinhessens und bin jedesmal froh, wenn ich diese grauenhafte Monotonie wieder verlassen kann. Kilometerlang gleichförmige Rebenplantagen, ausgeräumte Landschaft, in der der letzte Vogel vor vielen Jahren den letzten Pieps gemacht hat. Pflanzengifte lassen nicht einmal zwischen den Reben einen Halm wachsen. Nach jedem Regenguß kommt der haltlose Boden in Bewegung und macht die Wege unpassierbar.

Die Weinbaukulturen im Gebiet Saale/Unstrut sind steil, terrassiert, von Trockenmauern durchzogen und von Treppen und Wegen unterbrochen, Steinhäuschen liegen verstreut am Hang. Pralles Leben überall, vereinzelte Bäume, reichlich Strauchwerk und Trockenrasen geben nicht nur dem Boden Halt, sondern sind Heimstatt vieler Kleinlebewesen, die ihren Teil der natürlichen Schädlingsbekämpfung übernehmen. An dieser vielfältig strukturierten Landschaft kann ich mich kaum sattsehen.

Weinbau auf diese Art ist Knochenarbeit, schon allein deshalb ist der hiesige Wein nicht billig und im Supermarkt praktisch nicht abzusetzen, gleichwohl sich Unstrutweine auf anderen Wegen besten Absatzes erfreuen. Ich beschließe, im Verlauf des Abendprogramms im Weinkeller meines kleinen Hotels mein Scherflein zum Erhalt dieser regionalen Agrarkultur beizutragen.

Auf den Anhöhen stehen Burgen. Schon vor 1.000 Jahren hatte reger Burgen-, Kloster- und Weinbau für einen ausgefüllten Alltag der Saale-Unstrutler gesorgt. Heute ist die Region fest entschlossen, ihren Charakter, die typische Landschaft zusammen mit ihrer kulturellen Ausprägung für ein zeitgemäßes Tourismuskonzept zu nutzen. Naturschutzgebiete sollen nicht Parkplätzen oder Tennishallen weichen, sondern so erschlossen werden, daß sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad begrenzt erlebt werden können. In kürzester Zeit hat man deshalb an der Saale und Unstrut ein Fahrradwegnetz eingerichtet. Mit einem Mindestmaß an Eigeninitiative wird das Unterwegssein zum Erlebnis.

Immer die Mündung im Sinn, passiere ich Freyburg, das Weinhauptstädtchen der Region, nehme kurz darauf den kopfstein- erneuerten Ortskern von Großjena mit, lasse mir von der an der Unstrut spielenden Dorfjugend ein „Hallo“ hinterherschicken, verfolge die Flußdurchquerung einer Bisamratte und komme auf dem flachen Sträßchen immer schneller in Fahrt, bis am Ende einer Wiese ein kleines Fährhaus auftaucht. Da ich vorher die Karte genau studiert hatte, weiß ich: An der Mündung bin ich vorbeigeradelt. Doch hätte ich es hier nicht schöner antreffen können. Die Fährstation hat eine lauschige Bewirtschaftung, mit zwei, drei Bänken und Tischen unter Bäumen, ein paar Fahrradfahrer sitzen bei Kuchen und Schorle, der Fährmann friemelt irgendwas an seinem Nachen herum. Der weitere Ablauf ist klar: Einmal mit der Fähre hin und zurück, dabei nach der Mündung peilen, danach Kaffee und Kuchen am Rand der duftenden Wiesen. Zum Hotel sind's anschließend nur ein paar Kilometer.

Die motorlose Fähre nutzt für beide Strecken die Wasserkraft der Saale, der Schiffer zeichnet mir anschauungsvoll das entsprechende Kräfte-Parallelogramm in die Luft. Wir kreuzen gleich unterhalb der Mündung. Der Zusammenfluß von Unstrut und Saale geschieht undramatisch, keine tosenden Wasser oder Strudel. Eine Wiese gibt die fast stehende Unstrut frei, auf der letzten Landzunge hält eine Pappel die Stellung. Ein Bild, das der Landschaft gerecht wird. Keine spektakulären Einzelleistungen der Natur, sondern Vielfalt im Kleinen, alltägliche Schönheit, die sich durch die Arbeit der Menschen, die hier seit Jahrhunderten leben, zu einer sanften Kulturlandschaft ausgebildet hat.

Und während ich noch überlege, ob Bisamratten eigentlich Pflanzenfresser sind, lasse ich meine heißen Füße zischend in die Saale gleiten.