■ Nationale Kultur: Die Thesen des Berliner Innensenators Jörg Schönbohm finden auch bei Bündnis 90/ Die Grünen regen Zuspruch
: Unsere grüne Leitkultur

In der Krise kennt das deutsche Volk keine Parteien. In der Reaktion auf die muslimische Lehramtsanwärterin Fereshda Ludin hat eine große Mehrheit der – jedenfalls baden-württembergischen – Grünen bewiesen, daß sie allen multikulturellen Beteuerungen zum Trotz letzten Endes nichts anderes wollen, als ihr christliches Abendland und den ihm entsprechenden Beamtenstaat zu verteidigen. Im Namen der Toleranz und der Offenheit fand hier – in der Rede der grünen Landtagsabgeordneten Biggi Bender (siehe taz vom 21.7.) – ein politischer Schulterschluß von ökoliberalen Positionen über liberalkatholische Bekenntnisse bis zu rechtsnationalen geistigen Schützengräben statt: Die Ausländer „müssen bereit sein, sich auf die hiesigen Verhältnisse einzulassen. So darf der Wille zur Bewahrung der eigenen kulturellen Identität nicht Vorwand sein für selbstisolierende Abschottung gegenüber der deutschen Kultur, den Sitten und Gebräuchen.“

Wer so schreibt, heißt allerdings nicht Biggi Bender, sondern Jörg Schönbohm, der der CDU angehörende Berliner Innensenator – ein Feingeist fürs Grobe. Er schrieb diese Sätze schon 1997, in einem Beitrag der Zeitschrift für Ausländerrecht, und konnte nicht ahnen, wieviel Zuspruch in der Sache ihm auch von seinen linken Gegnern erwachsen würde. Gemessen daran ist die Neue Rechte ebenso progressiv wie vernünftig. In der letzten Ausgabe der Jungen Freiheit hat einer ihrer Vordenker, der Franzose Alain de Benoist ein bemerkenswertes Interview gegeben, in dem er sagte: „Die Idee einer zwischen souveränen Staaten aufgeteilten Welt, die innerhalb ihrer Grenzen eine perfekte Einheit des Volkes, von einer Sprache, einer Kultur und einem Territorium verwirklicht, ist eine Illusion aus dem Zeitalter der Nationalitäten, das heißt des 19. Jahrhundert. Kaum zehn Prozent der Staaten, die heute bestehen, haben eine völlig homogene Bevölkerung. Die meisten Staaten sind bereits multikulturell, und es ist äußerst unwahrscheinlich, daß sie aufhören werden, dies zu sein.“

Da Schönbohm, der demnach rechts der Neuen Rechten steht, Zuspruch in der Sache auch seitens der Grünen widerfuhr, ist es unumgänglich, sich mit seinen Thesen auseinanderzusetzen. Kern all seiner Argumente ist eine Theorie der nationalen Kultur, die ihm so wesentlich ist, daß er darüber zum ausgrenzenden Rassisten wird: „Entscheidend ist nicht die Frage des Passes, sondern der kulturellen Zuordnung.“ Diese Kultur ist die Kultur der Deutschen, die die Immigranten „ernsthaft und nicht aus Gründen der Zweckmäßigkeit“ anstreben sollten.

Schönbohms Kulturbegriff ist unmittelbarer Ausdruck eines undemokratischen Begriffs der Nation und ihrer Kultur, den wir zugunsten eines Begriffs der nationalen Kultur, die sich zu Recht und nicht nur deklamatorisch auf die Tradition der Aufklärung berufen kann, aufgeben sollten. Die „nationale“ Kultur, von der hier die Rede ist stellt eine am französischen und US-amerikanischen Vorbild gewonnenen Idee der Nation als einer freiwillig zusammengeschlossenen Zukunftsgemeinschaft ins Zentrum. Das deutsche und slawische, kurz das romantische Verständnis der Nation, dem – bei allem Beharren auf dem Grundgesetz – von Bender bis Schönbohm der größte Teil der hiesigen politischen Klasse anhängt, betont jedoch nicht die gemeinsamen, freiwillig eingegangenen Verpflichtungen der Individuen, sondern ihre gemeinsame, unabänderliche Herkunft, an die sie gebannt und der sie verpflichtet bleiben. Im romantischen Modell ist Kultur in erste Linie nicht Medium, sondern verpflichtendes Erbe, nicht Chance, sondern Aufgabe, nicht veränderlich, sondern starr.

Eine Verfassung wie die der Bundesrepublik Deutschland, die sich in ihren besten Teilen der Würde des Menschen und damit auch seiner Selbstachtung verpflichtet sieht, muß bewirken, daß niemand in seiner Anerkennung und Selbstachtung eingeschränkt wird, nur weil seine kulturelle Herkunft irgend jemandem – oder gar staatlichen Instanzen – nicht paßt. Deshalb kann eine wirklich auf Integration setzende Politik gar nicht anders denn wesentliche Teile der Immigrantenkulturen gezielt in ihren öffentlichen Kanon aufzunehmen und damit eine nationale deutsche Kultur zu formen, an der vor allem ihre Sprache, aber keineswegs mehr die Vielfalt ihrer Inhalte noch „deutsch“ ist.

Eine derart vielfältige, in sich gebrochene nationale Kultur ist im übrigen das strikte Gegenteil eines verbindlichen Wertehimmels. Sie integriert, indem sie in einer für alle verbindlichen Sprache eine Vielzahl sogar widersprüchlicher Lebenswege artikuliert und es damit den heranwachsenden Individuen ermöglicht, eine verantwortliche Wahl ihrer Lebensform zu treffen. Nationale Kulturen dieser Art, das heißt die öffentlich in Kindergärten, Schulen, Erwachsenenbildungseinrichtungen und Universitäten geförderten, in aller Regel in einer hegemonialen Sprache enthaltenen semantischen Potentiale entsprechen dieser Maßgabe genau. Tatsächlich enthält eine nationale Kultur in diesem Sinn nicht nur unterschiedliche Bezüge auf verschiedene Religionen, sondern: in Kunst und Literatur, in Geschichte und gegenwärtigem Alltag eine Fülle ganz unterschiedlicher Weltdeutungen, die gerade, weil sie so vielfältig und inkommensurabel sind, Personwerdung und Selbstachtung begünstigen.

Was eine nationale Kultur in der Tradition der Aufklärung auszeichnet, ist also nicht, daß sie eine bestimmte Lebensform oder bestimmte politische Wertsetzungen begünstigt, sondern daß sie in der Vielfalt ihrer widersprüchlichen Stimmen, Werte, Deutungen und Lebenswege weist, die die niemals isolierten Individuen in einer eigenen, ganz unverwechselbaren Weise aufnehmen und dabei gleichwohl den legitimen Zusammenhalt eines demokratischen Staates stärken können.

Wie hätte die baden-württembergische Landtagsfraktion der Grünen reagiert hätte, wenn die Kultusministerin einem seine sexuelle Orientierung offen demonstrierenden, aber sonst „deutsch“ wirkenden schwulen Mann den Zugang zum Lehramt versagt hätte. Das Ergebnis ehrt die Fraktion. Gleichwohl läßt der Ausgang dieses Gedankenexperiments als Schluß nur zu, daß es nicht darum ging, Kinder vor Konfrontation mit alternativen Lebensformen zu schützen, sondern nur um den Versuch, mit engstirniger Aufgeklärtheit die staatskirchenrechtlich gestützte „Gemeinsamkeit aller Demokraten“, sprich Xenophobie und Frauenfeindlichkeit im Mäntelchen des Grundgesetzes zu demonstrieren. Micha Brumlik