■ Greenpeace gelinkt: Russischer Offizier handelte im Auftrag von RTL
: Wolle atomnaja bomba?

Moskau (taz) – Vladimir J. stellt zwei gefüllte Wodkagläser auf den Küchentisch. „Vielleicht ich hätte nicht machen sollen“, sagt er in gebrochenem Deutsch und nimmt einen großen Schluck. „Aber damals ich brauchte Geld.“ Wir sitzen in einer luxuriös ausgestattenen Datscha in der Nähe Moskaus, die Vladimir J. seit sieben Jahren sein eigen nennt. Seit 1991 nämlich, als der damalige Offizier für seine Verhältnisse ein Bombengeschäft machte: Im Auftrag von „Explosiv“, einem Boulevardmagazin des des deutschen Fernsehsenders RTL, bot er der Umweltschutzorganisation Greenpeace einen Atomsprengkopf aus Beständen der sowjetischen Armee an, „gegen normale Tagesgage“, wie er versichert.

Die Dame vom Fernsehen sei sehr freundlich gewesen, erinnert er sich. Sie habe ihm genau erläutert, worin seine Aufgabe bestehe und ihm auch den Grund für ihr ungewöhnliches Anliegen erklärt. „Das RTL“ – Vladimir betont den Namen des Senders wie „Ertel“ – „war eigentlich nur gekommen, um in Altengrabow zu filmen.“ Während einer Drehpause im „Altengrabower Krug“ habe er die Crew kennengelernt und ihnen von seinem Stützpunkt erzählt. Wenige Wochen später sei ein Teil des Teams zurückgekehrt und habe ihm das Angebot gemacht: „Sie wollten beweisen, daß Greenpeace Geld von Mitgliedern verschleudert“, sagt Vladimir J. „Ich sollte mit Greenpeace verhandeln, damit sie das filmen konnten.“ Ging es also nur um die Protokolle der geheimen Treffen zwischen Vladimir J. und dem Greenpeace- Abrüstungsforscher William Arkin? Vladimir J. schüttelt energisch den Kopf. „Das wollte nur Ertel. Aber ich mußte trotzdem die Bombe besorgen. Wolle atomnaja bomba, habe ich ihn gefragt. William wollte sie. Er sagte, das wäre zur eigenen Sicherheit. Aber ohne Bombe auch keine Dollary, das hat William immer wieder so gesagt, und dann wollte Ertel auch die Bombe filmen.“

Drei Wochen lang traf sich Vladimir J. nahezu täglich abwechselnd mit Arkin und den „Explosiv“-Reportern. Dabei bestand Arkin darauf, ständig neue Orte aufzusuchen. „Einmal sollte ich nach Gera kommen, dann wieder nach Potsdam fahren“, berichtet er, „das war anstrengend.“ Zwischendurch mußte Vladimir das TV-Team informieren, das ihm dann, „sehr gut getarnt“, folgte. Allerdings gelang es den Fernsehleuten damals nicht, die Gespräche zwischen Arkin und Vladimir J. aufzuzeichnen. „Doch sie waren geduldig, denn ich sollte ja bald die Bombe bringen.“

Sein Handy klingelt. Vladimir J. meldet sich mit einem militärisch- knappen „Da?“, hört aufmerksam zu und sagt dann schnell: „Saddeins. Ist schlecht jetzt. Später.“ Dann schenkt er die Gläser wieder voll. Seine Hände zittern leicht. Er erzählt, wie der Sprengkopf aus dem sowjetischen Raketenarsenal entwendet werden sollte: „Ich hatte zwei zuverlässige Männer ausgesucht. Sie brachten einen tschemodan [einen Koffer, die Red.], in den Stützpunkt. Das war Arkins Idee, damit der Transport später leichter wäre. Ein LKW fällt auf. Dann sollte es eine Inventur geben, ich sollte sie leiten. In der Nacht davor packten wir die Bombe ein und versteckten den tschemodan auf einem Laster, der morgens wegfuhr.“ Wegfuhr, d.h. den Stützpunkt tatsächlich mit der Ware verließ? „Njet“, wehrt Vladimir J. heftig ab und springt auf, wobei er die Wodkagläser vom Tisch fegt. „So ist es nicht gewesen. Die Bombe ist nicht herausgekommen.“ Und jetzt, sagt er, habe er keine Zeit mehr. Wir sollen gehen, dawai, dawai. Was ist mit RTL, fragen wir nach. „Nichts, sie konnten nichts filmen. Es gibt nichts zu filmen.“ Energisch schiebt uns Vladimir J. zur Tür hinaus.

Am nächsten Tag geht er nicht mehr ans Telefon. Wir sehen ihn dennoch wieder. Am Nachmittag entdecken wir ihn auf dem Moskauer Flughafen, wo er soeben an einem Schalter sein Ticket in Empfang nimmt. Reiseziel: Marbella. Wir versuchen noch, ihn aufzuhalten, doch schon ist er durch die Paßkontrolle verschwunden – wieder einmal.

Nachtrag (1): Von RTL war bis Redaktionsschluß keine Stellungnahme zu erhalten.

Nachtrag (2): Kollegen des Independent bestätigen auf unsere Anfrage, daß eine Initiative Londoner Taxifahrer, von Fahrgästen mit großem Gepäck einen Aufschlag zu verlangen, auf einen Vorfall aus dem Jahre 1991 zurückgeht. Damals sei es fast zu einem Eklat gekommen, als ein Taxikunde einen Koffer von bisher ungeahnten Ausmaßen in sein Appartement im dritten Stock transportiert haben wollte. Den Koffer habe ein gigantischer Aufkleber mit dem Schriftzug „Priroda“ geziert. Der Berliner Übersetzungsdienst „Oertel-Translations“ versicherte uns, daß dieses Wort russischer Herkunft und mit „Natur“ zu übersetzen sei. Carola Rönneburg