Zivile Courage

■ Jenseits von Anpassung und Gehorsam: Arte-Themenabend "Widerstand" (20.45 Uhr)

Es ist ein Schlüsselbegriff der deutschen Nachkriegslinken, um den sich der heutige Arte-Themenabend rankt: Widerstand. Gegen die Wiederbewaffnung, Notstandsgesetze, Atomkraft, Nato- Nachrüstung – praktisch jede außerparlamentarische Bewegung der Bundesrepublik hat „Widerstand“ als Leitmotiv. Dahinter versteckte sich immer auch die Vorstellung, man selbst hätte in der Situation der Diktatur, in der die Eltern sich befanden, alles ganz anders gemacht, eben: Widerstand geleistet. Der Begriff wurde zum identifikationsstiftenden Ziel.

Das war einmal. Widerstand ist out. Viviane Forrester („Der Terror der Ökonomie“) formuliert: „Da ist immer diese Angst, als zu pessimistisch, zu negativ zu gelten.“ In drei Dokumentationen, einem Essay und einem Spielfilm aus verschiedenen Teilen der Welt spürt Arte Situationen auf, wo Menschen diese Angst überwinden – oder auch nicht. Der Themenabend beginnt mit dem Film „Gotas de Rap“ von Rita Erben (20.45 Uhr) aus Kolumbien. Angesichts der dort weitverbreiteten Gewalt versuchen Jugendliche in den Städten, mit Musik und Tanztheater für ein Recht auf Wehrdienstverweigerung und gegen Gewalt überhaupt anzugehen.

Von Bogotá und Medellin geht es direkt nach Gorleben, zu einer Dokumentation über die Castor- Proteste 1997. „Haut ab!“ (21.15 Uhr) rufen Protestierende der Polizei entgegen, seit Jahren schon. Ein Beispiel für Beharrlichkeit.

Daß Gehorsam und Anpassung jedoch meist über Widerstandsgeist siegen, daran erinnert der Essay „Abraham und das Bataillon der Mörder“ von Hans Lechleitner (22.10 Uhr). 1970 verfilmte Lechleitner die Experimente des US- amerikanischen Soziologen Milgrim, in denen Testpersonen aufgefordert wurden, eine andere Person in einem „Lernexperiment“ für falsche Antworten mit immer höheren Stromstößen zu bestrafen – und dies auch taten, so sehr das Opfer auch schrie. Heute schneidet Lechleitner seinen Film von damals mit einem Gespräch mit dem US-Historiker Christopher Browning zusammen. Dieser hat sich mit dem deutschen Polizeibataillon 101 befaßt. Brave Bürger, unbescholtene Polizisten, die auf Befehl bestialisch mordeten. Das wirkt zwar, als wolle uns Lechleitner noch einmal erzählen, worum es bei dem Film damals ging. Doch der Schnitt funktioniert: Aus Anpassung und Gehorsam in der Gruppe zu morden, so die eindrückliche These, ist einfacher, als sich individuell zu verweigern.

Es folgen „Ya Basta“ von Martin Thoma (23.05 Uhr), ein Film, der zeigt, wie die zapatistische Guerilla die Frage nach dem Verhältnis zur Gewalt für sich beantwortet hat. Als Kontrastprogramm dazu dokumentiert im Anschluß „Klärende Verwirrung“ von Holger Wittekind die gewaltfreien Aktionen des Berliner „Büros für Ungewöhnliche Maßnahmen“. Der abschließende Spielfilm „Feindesland – lebenslänglich IRA“ von Tim Fywell (23.50 Uhr) erzählt von den Schwierigkeiten eines ehemaligen IRA-Mitgliedes, nach Jahren im Gefängnis wieder in die Gesellschaft zurückzufinden.

Die Zusammenstellung mag vielleicht etwas willkürlich erscheinen: Ein Aufriß des Themas, der zum Nachdenken anregt, gelingt dennoch. Bernd Pickert