Karussell der Flüchtigen

In Berlin und anderswo wird derzeit eifrig abgeschoben. Hunderttausend Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sollen noch dieses Jahr zurück, lautet das Plansoll der Bundesregierung. In was für ein Land aber die Flüchtigen zurückkehren, darüber herrscht wenig Klarheit. Zumindest eines steht fest: Die Zurückgebliebenen, die den Krieg ausgehalten haben, wollen die jetzt eintreffenden Menschen nicht. Die ethnischen Mehrheiten die Minderheiten schon gar nicht. Ein Dossier über die Unmöglichkei der Heimkehr  ■ Aus Sarajevo und Mijace Erich Rathfelder

Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Djenana den Flughafen Sarajevos und die Silhouette der Stadt. Die Einschußlöcher an den Gebäuden, die zerfallenen Sandsackbarrieren, das gerade im Wiederaufbau befindliche Flughafengebäude, die lange Wartezeit für das Gepäck – nicht gerade einladend. Niemand war da, um sie abzuholen. Djenana betrat den Boden eines ihr fremd gewordenen Landes.

Sechs Jahre sind es her, daß sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester das westbosnische Modrica verlassen hatte. Damals, als die jugoslawischen Truppen und serbischen Freischärler der Stadt bedrohlich nahe kamen. Da war sie fünfzehn. Dann kam die Trennung vom Vater, der versuchte, die Stadt zu verteidigen, kamen die Flüchtlingslager in Kroatien, schließlich die Ankunft in Deutschland.

Die ersten Monate in Deutschland waren hart für das muslimische Mädchen. Doch schon nach einem Jahr sprach sie fließend deutsch und konnte in der Schule mithalten. Die Familie richtete sich in einer norddeutschen Großstadt ein. Djenana fand FreundInnen, machte Abitur. Doch dann wurden die Drohungen der deutschen Behörden, die Familie sollte nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren, deutlicher. Wer freiwillig geht, kann mit einer Unterstützung von 1.500 Mark pro Person rechnen, hieß es. Wer nicht – mit Abschiebung.

Obwohl sie aus den serbisch kontrollierten Gebieten stammte und damit nicht abgeschoben werden darf, entschloß sich Djenana wie rund 50.000 andere Bosnier in diesem Jahr, im April als „Vorhut“ der Familie nach Bosnien-Herzegowina zurückzukehren. In das nun von den Serben beherrschte Modrica traute sie sich nicht, bisher ist dorthin noch niemand zurückgekehrt. Erst mal Sarajevo, dann weitersehen. Sie wollte sich um Arbeit in der Hauptstadt bemühen. Der Vater ist keine Hilfe mehr, das wußte sie, weil der inzwischen ein neues Leben mit einer anderen Frau begonnen hatte.

„Ich kenne das Land eigentlich gar nicht.“ Jetzt sitzt Djenana auf dem zerschlissenen Sofa einer weitläufigen Verwandten. Einen festen Job hat sie bisher nicht gefunden. Ihr weniges Geld wird knapp. Und Mutter und Schwester werden in einigen Tagen nachkommen. Dann werden sie alle zur Schwester der Mutter, die in Zentralbosnien auf einem Stück Land der Familie in der Nähe der Stadt Maglaj lebt, übersiedeln. „Doch dort habe ich überhaupt keine Perspektive mehr.“

Djenana muß Bosnien neu entdecken. Als sie kürzlich durch Mostar streifte und durch die Gebirgslandschaft Zentralbosniens fuhr, faszinierte sie die Schönheit des Landes. Und ebenfalls, daß abends viele Leute zum Spaziergang ins Zentrum der Städte strömen, in den Cafés sitzen, Musik hören, scherzen, lachen. Ihr mißfällt die Unordnung, die langsam und unzuverlässig arbeitende Bürokratie, die Disziplinlosigkeit der Autofahrer. „Ich bin schon fast zu einer Deutschen geworden.“

Bald mußte sie erkennen, daß es zwei Klassen von Flüchtlingen gibt. Die 700.000 ins Ausland geflüchteten und die im Lande gebliebenen 800.000 Menschen, die seither in Flüchtlingslagern, in Notunterkünften, bei Verwandten oder in den Häusern anderer Vertriebener den Krieg überdauerten. Schon bald bekam Djenana die Aggressionen und den Neid gegenüber jenen zu spüren, die vom Ausland zurückgekehrt sind. Die hätten ein schönes Leben gehabt, sagen die Leute – und meinen sie. „Ihr seid in die Schule gegangen, habt etwas gelernt, wir waren im Granatenhagel und haben um unser Überleben gekämpft. Wir bekommen kein Geld von einer ausländischen Regierung.“ Wenn sie vom Krieg reden, schweigt Djenana. Weil sie doch nichts weiß vom „Kampf um Brcko“ oder der „Offensive auf dem Igman“.

Für die meisten Rückkehrer ist das Land und seine Menschen verwirrend geworden. Die alten Freunde sind verschwunden oder haben sich verändert. Zwischen den Erfahrungswelten der Hiergebliebenen und der Zurückkehrenden gibt es selbst in der eigenen Volksgruppe kaum mehr Brücken als die verblaßte gemeinsame Erinnerung. Die Rückkehrer müssen jetzt lernen, daß der Krieg Frontlinien und Grenzen zwischen den drei Volksgruppen, den Muslimen, den Serben und den Kroaten, gezogen hat – und psychologische Barrieren ihnen gegenüber. Warum seid ihr damals gegangen, habt uns alleingelassen? Besonders für Männer eine unbequeme Frage.

1998, so wurde Ende Mai 1997 auf der Konferenz von Sintra beschlossen, „wird das Jahr der Rückkehr“. Die Vertriebenen sollten, wie im Abkommen von Dayton festgelegt, in ihre Heimatorte zurückkehren dürfen und nicht nur in die Zone ihrer Volksgruppe. Bosnien-Herzegowina, so das erneuerte Versprechen, sollte als multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft wiedererstehen. Dazu wollte die Internationale Gemeinschaft die finanziellen wie die politischen Voraussetzungen schaffen.

Der Beschluß war auf Druck der UN- Hochkommissarin für Flüchtlingsfragen, Sagato Ogata, und der Regierungen der Aufnahmeländer zustandegekommen. Besonders die deutschen Diplomaten drängten auf Rückkehr. Die Kosten für die 350.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien seien angesichts der leeren Kassen zu hoch, klagten die Vertreter eines der reichsten Staaten der Welt. Außenminister Kinkel rührte bei jeder sich bietenden internationalen Konferenz an der Flüchtlingsfrage. „Deutschland“, so erklärte er in Sintra mit Blick auf andere europäische Länder, die sich nicht um die Flüchtlinge geschert hatten, „hat die meisten aller Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Jetzt müssen sie in ihre Heimatgemeinden zurückkehren.“

Eineinhalb Jahre nach Beendigung des Krieges und dem Abkommen von Dayton waren in der Tat die militärischen Bedingungen erfüllt. Es wurde nicht mehr geschossen, die Armeen waren teilweise demobilisiert oder in die Kasernen gerückt. Auf dem zivilen Sektor tat sich jedoch nicht viel. Weder innerhalb der bosniakisch-kroatischen Föderation, die 51 Prozent der Fläche Bosnien-Herzegowinas umfaßt und in einen kroatisch und einen muslimisch kontrollierten Teil zerfällt, noch in den serbisch kontrollierten Gebieten der „Republika Srpska“ (RS) war an die Rückkehr von Minderheiten der jeweils anderen Volksgruppe zu denken.

Im serbischen Teilstaat herrschten noch die Extremisten unter Radovan Karadzic. „Wir wollen und können nicht mit den anderen Nationen zusammenleben“, tönten die serbisch-bosnischen Medien. Um das eroberte Land zu sichern, wurde es „ethnisch gesäubert“, die Produktion von Flüchtlingen war ja Ziel und nicht Folge des Krieges. Und die gleichen Leute, die dies propagiert und deshalb den Krieg geführt hatten, waren noch immer an der Macht. Auch die kroatischen Extremisten versuchten, innerhalb der bosniakisch- kroatischen Föderation Fortschritte zu verhindern. Und selbst in einzelnen – nicht allen – muslimisch kontrollierten Gemeinden wurde die Rückkehr „anderer“ verhindert. Kein Zweifel, das Sicherheitsrisiko für alle Rückkehrer war hoch.

Und das machte Druck von internationaler Seite nötig. Der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft wurde in Sintra mit mehr Vollmachten ausgestattet. Anders als sein Vorgänger Carl Bildt konnte nun der spanische Diplomat Carlos Westendorp mit Zuckerbrot und Peitsche agieren. Finanzielle Anreize für diejenigen, die kooperierten – Strafe für die Blockierer.

Immerhin, die Nationalistenpartei SDS spaltete sich. Während die östliche Republika Srpska weiterhin dem Karadzic-Kurs folgte, zeigte sich dessen ehemalige Mitstreiterin und Präsidentin der Republika Srpska, Biljana Plavsic, kooperationsbereit. Die westbosnische Großstadt Banja Luka wurde zu ihrem Regierungssitz. Mit den Gemeindewahlen im Herbst 1997 – an denen auch Vertriebene per Briefwahl teilnehmen konnten – und den vorgezogenen Parlamentswahlen in der Republika Srpska zeigte sich diese politische Spaltung auch in der Bevölkerung. Die Karadzic-Anhänger sahen sich plötzlich von der Macht verdrängt. Mit dem im Januar 1998 gekürten neuen Premierminister Milorad Dodik schien sich gerade rechtzeitig zum „Jahr der Rückkehr“ eine Politikwende in den serbisch kontrollierten Gebieten anzubahnen.

Dies war ein kleiner Schritt vorwärts, kein Durchbruch. Deshalb hat sich Botschafter Hanns Schumacher, der Stellvertreter von Carlos Westendorp, die Nationalisten aller Lager zu Gegnern gemacht. Als der kroatische Bürgermeister von Westmostar ihn unter dem Bild des kroatischen Staatschefs Franjo Tudjman empfangen wollte, verließ Schumacher den Raum. Unter dem Konterfei eines ausländischen Staatschefs werde er keine Verhandlungen führen, erklärte er. Dies sei Bosnien-Herzegowina und nicht Kroatien. Vehement forderte er die Ablösung des kroatischen Bürgermeisters, Mitglied der Nationalpartei HDZ, der von Mostar dreißig Kilometer entfernten Stadt Stolac, der die Rückkehr von zweihundert muslimischen Famlilien mit Gewalt verhindern ließ. Gerade wiederaufgebaute Häuser brannten – zum zweiten Mal.

Westendorp ging später noch einen Schritt weiter. Am 24. April wollte der Kardinal von Sarajevo, Vinko Puljic, in der Heimatstadt Djenanas, der ehemals mehrheitlich von Katholiken und Muslimen bewohnten Stadt Modrica, einen Gottesdienst abhalten. Deshalb blockierten Hunderte von „aufgebrachten Serben“ die Straßen und warfen Steine auf die Besucher, der Kardinal und seine Mitarbeiter wurden angegriffen. Als am 25.April in Drvar – einem ehemals fast ausschließlich von Serben bewohnten Ort in Westbosnien, die 1995 von Kroaten vertrieben wurden – kroatische Polizisten und Extremisten im Gegenzug eine kürzlich zurückgekehrte Gruppe von Serben angriffen und die gerade wieder hergerichteten Wohnungen zerstörten, zwei Menschen töteten und den ehemaligen Bürgermeister zusammenschlugen, forderte er die Bestrafung der Drahtzieher.

SFOR-Panzer und die Internationale Polizei IPTF bezogen Stellung. Westendorp sprach sogar davon, einen Gerichtshof für „Verstöße gegen das Abkommen von Dayton“ einzurichten. Die Aktionen der Extremisten, so vermuteten Mitarbeiter von Westendorp, seien zwischen den kroatischen und serbischen Nationalistenparteien SDS und HDZ abgesprochen worden, um ihre jeweiligen Herrschaftsbereiche „ethnisch rein“ zu halten.

Im Büro des „United Nations High Commissioner for Refugees“ (UNHCR) stapeln sich die Papiere, auf denen die Protokolle der Sitzungen, die Vorschläge, die Ergebnisse von Verhandlungen festgehalten sind. Hier wird die Kleinarbeit gemacht und ein Teil des Zuckerbrotes ausgeteilt, das von den internationalen Institutionen für kooperationsbereite Gemeinden bereitgestellt wird. Die UN-Flüchtlingshilfsorganisation hat nämlich eine Strategie der „offenen Städte“ entwickelt. Jene Städte, die für die Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen offen sind, bekommen Aufbauhilfen. Der UNHCR versucht, Hilfsmaßnahmen der internationalen Hilfsorganisationen für diese Gemeinden zu koordinieren.

Heute gibt es vierzehn offene Städte, die binnen Jahresfrist insgesamt siebzig Millionen Mark an projektgebundenen Geldern erhielten. Zu ihnen gehören die bosniakisch kontrollierten Städte Bihac, Busovaca, Ilica, Gorazde, Kakanj, Konjic, seit neuestem auch Tuzla und Zavidovici, dazu der Sarajevo-Vorort Vogosca und die Industriestadt Zenica.

In den serbisch kontrollierten Gebieten haben sich lediglich jene Städte, in denen schon vor dem Krieg die Mehrheitsverhältnisse mit neunzig Prozent serbischer Bevölkerung eindeutig waren, wie Sipovo, Mrkonjic-Grad, Laktasi und Srbac, dem Programm angeschlossen. Von den kroatisch kontrollierten Gemeinden wird wohl nur Jajce als offene Stadt anerkannt werden.

Das Büro des Hohen Repräsentanten hofft zudem, eine Bewegung von unten zu initiieren, die „Koalition für die Rückkehr“. Die Flüchtlingsgruppen aus allen Teilen Bosnien-Herzegowinas sollten selbst ihr Recht auf Rückkehr einfordern. In der Koalition arbeiten seit Ende 1996 serbische, kroatische und muslimische Flüchtingsgruppen zusammen; Frauen aus Srebrenica sitzen neben Serben aus Drvar. Wer könnte als Koordinatorin besser zu diesem Konzept passen als die ehemalige DDR-Oppositionelle und Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley?

Für die Rückkehr arbeiten auch nationale Organisationen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Skandinavien. Das Büro des „Beauftragten für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina“, Dietmar Schlee, ist damit befaßt, die Rückkehr der in Deutschland befindlichen Flüchtlinge zu organisieren. Hunderttausend Rückkehrer sind das Ziel für dieses Jahr, die meisten stammen aus den jetzt serbisch kontrollierten Gebieten. Organisieren sollen dies die regierungsabhängigen deutschen Hilfsorganisationen wie das Technische Hilfswerk (THW), die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Bundeswehr.

Nach dem anfänglichen Schwung zu Beginn des Jahres hat sich jetzt bei allen internationalen Organisationen Ernüchterung breitgemacht. Denn die Ergebnisse vieler ihrer Anstrengungen sind mager geblieben. Seit 1996 sind mehr als 200.000 Flüchtlinge aus dem Ausland zurückgekommen, davon allein 130.000 aus Deutschland, die vor allem in die Mehrheitsgebiete gingen. Doch von geglückter Reintegration kann keine Rede sein.

Die meisten sind bei Verwandten untergeschlüpft, nur den wenigsten ist es gelungen, Arbeit zu finden. Lediglich 48.000 Menschen aus den jeweiligen Minoritäten konnten auf das Gebiet einer der Mehrheitsgruppen zurückkehren. In zehn „offene Städten“ waren es bis Juni lediglich 9.200 Personen. In die serbisch kontrollierten Gebiete sind bis jetzt nicht einmal tausend Nichtserben zurückgekehrt.

Die Gründe für das Scheitern sind jedoch nicht nur politische. Es gibt auch objektive Gründe. Die Stadt Tuzla hat 55.000 Flüchtlinge aus Ostbosnien aufgenommen, im Kanton Tuzla sind es mehr als 150.000. Die letzte Welle der Vertriebenen waren Überlebende aus Srebrenica. Tuzla mit ursprünglich 110.000 Einwohnern platzt jetzt aus allen Nähten.

Von ursprünglich 15.000 Serben, die 1992/93 nach Serbien gegangen sind – „sie wurden bei uns nicht vertrieben“, wie Bürgermeister Selim Bezlagic versichert – sollten 7.000 jetzt zurückkommen können. Bezlagic ist ein nichtnationalistischer Oppositionspolitiker, der auch während des Krieges die Rechte der Minderheiten schützen ließ. Aber wohin mit den in deren Wohnungen lebenden Flüchtlingen? Sollen Familien aus Srebrenica von der Polizei mit Gewalt aus serbischen Wohnungen geholt werden, um die Rückkehr der serbischen oder anderer Familien aus dem Ausland zu ermöglichen?

Das will er auch nicht. Die Rückkehr der Srebrenica-Flüchtlinge in ihre Heimatstadt wäre die einzige Alternative. Doch trotz einer seit den letzten Gemeindewahlen bestehenden Mehrheit der Vertriebenenvertreter im Gemeinderat von Srebrenica wehren sich die serbischen Behörden mit Händen und Füßen, auch nur eine einzige Familie zurückzulassen. Die Spuren der Massaker haben sich tief ins Bewußtsein eingegraben. Nicht nur bei den Opfern. Auch bei den Tätern. Die serbische Bevölkerung dieser Region verfüge über ein nie ausgesprochenes Unrechtsbewußtsein und wehre deshalb die Rückkehr der Opfer besonders vehement ab, meint einer der Bezlagic-Mitarbeiter.

Vertriebene aus Srebrenica wurden seit März 1995 auch in den von Serben verlassenen Vororten Sarajevos untergebracht. Diese serbischen Familien wurden im Januar 1995 von Karadzic aufgefordert, ihre Heimat zu verlassen und ihrerseits nach Srebrenica und Brcko in die leeren Wohnungen der Muslime zu ziehen. 1995 geflohene Krajina-Serben aus Kroatien belegen den Wohnraum von 1992 vertriebenen Muslimen und Kroaten in Banja Luka und Prijedor. Vertriebene Kroaten aus Zentralbosnien leben in Wohnungen von Muslimen in Westmostar. Die Vertriebenen und Flüchtlinge blockieren die Rückkehr anderer Vertriebener und Rückkehrer.

„Dieser Kreis muß durchbrochen werden.“ So bestimmte es eine Konferenz in Sarajevo im Frühjahr dieses Jahres. Sarajevo, die Hauptstadt, müsse mit gutem Beispiel vorangehen, hieß es da. 20.000 ehemalige Bürger, Serben und Kroaten, sollten in wenigen Monaten zurückkehren dürfen und damit für andere Flüchtlinge an deren Heimatorten Platz machen.

Doch in der Hauptstadt bewegt sich kaum etwas. 90.000 der 380.000 Einwohner Sarajevos sind Vertriebene aus Ostbosnien. Hinzu kommt, daß manche Mitglieder der neuen muslimischen Herrschaftsschicht, Mitglieder der Izetbegovic- Partei SDA oder der Bosnischen Armee, sich von Serben verlassene Wohnungen angeeignet haben. Und sie jetzt nicht wieder aufgeben wollen.

So bleiben für die Rückkehr nur die völlig verwüsteten Dörfer und Landstriche. Doch dort wollen sich nicht einmal die Flüchtlinge ansiedeln. Im zentralbosnischen Lasva-Tal in Vitez, wo im April 1993 kroatische Truppen muslimische Dörfer angegriffen und im Dorf Ahmici ein Massaker angerichtet hatten, kehren jetzt die muslimischen Vertriebenen zurück.

Mehmed Ahmic, der ehemalige Bürgermeister, sitzt im Garten eines Verwandten. Die Ruinen des Hauses werden gerade von einigen Männern vom Gestrüpp befreit. Internationale Hilfsorganisationen haben Material gespendet, um das Haus wieder aufzubauen. Die Wasserleitungen werden erneuert, nur mit dem Strom hapert es noch. Da müßten Leitungen gelegt werden.

Es ist für die ehemaligen Bewohner nicht leicht, hierher zurückzukehren. Jede Familie hat hier mehrere ihrer Mitglieder verloren. Hier liegt auch das Haus der kroatischen Familie Kupresic, deren Männer sich jetzt in Den Haag vor dem Kriegsverbrechertribunal zu verantworten haben. Doch als Flüchtlinge in Zenica wollen die Vertriebenen auch nicht mehr weiterleben. „Wir müssen einen Neuanfang wagen.“

Das sagt auch Sead Cirkin. Er ist der Vorsitzende der Organisation von Rückkehrern aus Kozarac. Diese Stadt in Westbosnien hat ihre fragwürdige Berühmtheit damit gewonnen, daß sie im Juni 1992 völlig zerstört worden ist. Über 4.000 ihrer Bewohner sind damals durch serbische Truppen oder in den nahe gelegenen Konzentrationslagern Omarska und Manjaca ermordet worden, die Überlebenden flohen nach Bihac oder ins Ausland.

Jetzt warten 5.000 Vertriebene auf ihre Rückkehr. Sie sind aus dem Ausland erstmal in die von Bosniaken kontrollierte Stadt Sanski Most gekommen. Seither haben ihre Abgesandten das vierzig Kilometer entfernte Kozarac mehrmals besucht. „In nur wenigen noch halbwegs intakten Häusern in Kozarac leben serbische Flüchtlinge, wir wollen ihnen helfen, in ihre Heimat zurückzukehren“, sagt Sead Cirkin, der als Muslim in das Regionalparlament von Prijedor gewählt worden ist. Und damit Bürger der Republika Srpska ist.

Das Rückkehrprojekt wird durch das deutsche Technische Hilfswerk unterstützt. Über tausend Häuser, sagt Klaus Buchmüller, der Leiter des THW in Bosnien, wird seine Organisation wieder aufzubauen helfen. „So wie auch in Ortijes bei Mostar, wo wir serbischen Vertriebenen helfen, zurückzukehren.“ Serbische Arbeiter sind dieser Tage dabei, das Materiallager inmitten der Ruinen von Kozarac anzulegen.

Es ist leichter, mit Projekten in den völlig zerstörten Landstrichen die Rückkehr der Vertriebenen zu fördern, als in den von Flüchtlingen überfüllten Städten. Dennoch sind die Sicherheitsrisiken groß: Brandanschläge und Morde können angesichts der Extremisten nicht ausgeschlossen werden – wie dies in Stolac, Jajce oder Travnik geschehen ist. Die müssen Friedenstruppen SFOR und die Internationale Polizei IPTF müssen Sicherheitsvorkehrungen treffen. In den Rückkehrgebieten, sagen ihre Sprecher, soll – wie bereits in Brcko und Mostar – auf eine gemischte Polizei hingearbeitet werden. „Das dauert aber.“ Erst dann könne eine sichere Rückkehr möglich werden.

Jörg Kaiser arbeitet in der „Informationsstelle von Caritas und Diakonie in Sarajevo“. Und er warnt: „Die gesamte Lage läßt doch eine schnelle Rückführung von Vertriebenen aus dem Ausland gar nicht zu.“ Die Städte seien vollgestopft, manche Rückkehrer wüßten nicht wohin, lebten erneut in Sammellagern, die Rückkehr an den Heimatort könne nur ein langsamer und behutsamer Prozeß sein. Wovon sollen die Rückkehrer leben? Die Wirtschaft müsse wieder aufgebaut werden, die Minderheiten hätten kaum eine Chance, in den Mehrheitsgebieten einen Job zu erhalten. Und noch immer seien die Eigentumsverhältnisse nicht geklärt. Die voreilige Rückführung von Flüchtlingen aus dem Ausland könne das Land weiter destabilisieren.

Djenana zieht aus der Lage ihre eigenen Konsequenzen. Sie war bei der kanadischen Botschaft. Sie möchte so bald wie möglich auswandern. Wie jeden Monat über sechshundert andere Landsleute.

Erich Rathfelder, 51 Jahre, arbeitet seit 1983 bei der taz, zunächst als Osteuropa-Redakteur, dann sechs Jahre als Reporter im ehemaligen Jugoslawien. Kürzlich erschien von ihm: Sarajevo und danach, C.H. Beck Verlag, München 1998, 300 S., 24 Mark