Ich möchte ein Eisbär sein

Von der Mündung des Mississippi bis in die Kunsthalle „Gipfelstation“ auf der Zugspitze: Die künstlerische Arbeit der HdK-Professorin Christiane Möbus wird durch Bewegung und Doppelbödigkeit bestimmt  ■ Von Cornelia Gerner

Christiane Möbus hat ein Faible für Tiere. Gerade erzählt sie von ihrer Präsentation, die Mitte Juli unter dem Titel „Kunst auf der Zugspitze“ in der „Kunsthalle Zugspitz – Gipfelstation“ eröffnet wurde, in einer Reihe, in der auch schon Richard Long und Stephane Morellet ausgestellt haben. Passend zu dem ungewöhnlichen Ausstellungsort wurde ihre Arbeit „tödlich“ von 1997 installiert: Zwei präparierte Eisbären liegen auf dem Rücken und tragen die Spitzen von zwei Eisbergen.

Die als Professorin an der HdK lehrende Möbus arbeitet schon lange mit Tierpräparaten. Abgesehen von ihrem monumentalen Werk „Auf dem Rücken der Tiere“, einer über zehn Meter langen Arche, die von insgesamt 13 Tieren getragen wird, hat sie bereits Gemsen, Fische und Krähen ausstopfen lassen. Sie habe Tiere schon immer geliebt, und als ob sie von Hermann Hesses Piktor reden würde, der sich in einen Baum, in Tiere und in eine Wolke verwandelt, fügt sie hinzu: „So, wie andere Kinder Lokomotivführer spielen, schlüpfte ich in die Rolle von Tieren. Ganz häufig war ich ein Schimmel. Dabei habe ich die Natur sehr nah erlebt.“

Das doppelstöckige Atelier steht voll mit metergroßen eingepackten Gegenständen. Eine der Verpackungen enthält die Arbeit „Kriminalstück II“ – genannt das „Klavier“ –, ein Klavier, das keines ist. In Wirklichkeit handelt es sich um zwei riesige aneinandergeschobene Tische, die man zunächst für zwei Flügel halten könnte, mit denen aber irgendwas nicht stimmt. Bei der Umsetzung ihrer Idee hat Möbus mit drei verschiedenen Klavierherstellern zusammengearbeitet, um diese Beine, diese Lackierung und die verschiedenen Details hinzubekommen. Vorsichtig holt sie eines der in Molton gewickelten Beine hervor, deren viereckige, sich verjüngende Form mit der tiefen Nut von ihr entworfen wurde. Auch der besondere Glanz der Rollen gehört nicht zur Serienanfertigung, sondern wurde bei Bechstein speziell nach ihren Vorstellungen hergestellt.

Wichtiger Bestandteil des „Kriminalstücks II“ sind zwölf fotografierte und ausgeschnittene Händepaare, die, gekippt wie Wippen, auf kleinen Klötzchen liegen. „Eine sehr kriminelle Arbeit“, so der erstaunliche Kommentar von Möbus. Was gemeint ist, wird sofort beim Vergleich mit „Kriminalstück I“ deutlich. Hier liegen die Hände auf einem in stumpfem Blau bemalten alten Holztisch. Und plötzlich entsteht das Bild im Kopf: Männer im Frack sitzen um den schwarzen Lacktisch und spielen stumm ein Spiel um Leben und Tod. Die anderen vom blauen Tisch dagegen spielen Skat.

„Das Wichtige für meine Arbeit ist, das richtige Material zu finden und die richtigen Firmen und Fachleute, von den Spezialisten der Lkw-Fabrik bis zu den Kunstschmieden, Glasbläsern und Präparatoren.“ Eigentlich hatte Christiane Möbus am heutigen Abend in Berlin einen Termin beim Modellbauer. Gut, daß er geplatzt ist. Morgen geht es schon wieder weiter nach Süddeutschland zu einer Firma. Dann zurück nach Hannover, dem zweiten Wohnort. Sie ist viel auf der Autobahn. Anders als andere Künstler arbeitet sie ja nicht ausschließlich im Atelier oder an bestimmten Plätzen. Die Arbeiten entstehen im Kopf, und manchmal dauert es Jahre, bis sie sich umsetzen lassen.

Bewegung bestimmt nicht nur Christiane Möbus' Leben, sondern auch ihre künstlerische Arbeit. In den 70er Jahren unternahm sie zum Beispiel eine Reise von der Mündung des Mississippi bis zu seiner Quelle. Von jeder Poststation aus hat sie Blankokarten verschickt – an ein Museum, an Freunde und – „als Souvenir“ – auch an sich. Allein der Poststempel gab Auskunft über den Verlauf der Reiseroute. Auch in der Arbeit „Ebbe und Flut“ von 1978, die sich aus paarweise aufgelegten alten Pflastersteinen zusammensetzte, ging es um Bewegung, wenn auch nur um eine gedachte, so wie in „für die Ewigkeit“ von 1989 – einem zur Acht gedrehten Kupferrohr mit zwei Motorradtanks. Diese Arbeit wurde zwischen zwei Außenpfeilern des Frankfurter Doms installiert. Der monumentale, perfekt und edel ausgeführte „MAN-Möbus“ von 1994 dagegen, ein Fahrzeug, das nur aus einem Fahrwerk mit eng anliegender Karosserie besteht, ohne für einen Transport vorgesehen zu sein, kann wirklich fahren.

Christiane Möbus liebt das Doppelbödige und den „Knapp- an-der-Wirklichkeit-vorbei“-Effekt. Sie spielt mit den Differenzen zwischen „echt“ und „unecht“, dem Gedachten und Ausdrücklichen, und manchmal geht sie mit ihren Arbeiten um, als ob sie lebendige Wesen wären. Die gewaltigen Eisbären, von denen wir wissen, wie gefährlich sie in Wirklichkeit sind, werden auch mal wie Kuscheltiere gestreichelt. Diese Art der Beziehung wiederholt sich in den Titeln, die immer passen, wenn auch oft auf absurde Weise und schwer zu erklären ist, warum. „Die Titel spielen eine große Rolle“, sagt Möbus: „Sie sind zusätzliches Material. Sie wirken durch ihre inhaltliche Aussage, durch den „Klang“ der jeweiligen Sprache, als Schriftzug usw. Selbst wenn eine Arbeit „o.T.“ heißt, kann das Schweigen eine Art Waffenstillstand bedeuten.“

Die Ausstellung auf der Zugspitze läuft bis zum 25. Oktober.